Dem Leser des umfassenden Buches von Claudia Bruns wird ein besonderer Denker
vorgestellt, der einsam und vergessen 1955 in Berlin-Hermsdorf dahinschied. Man
wird geführt durch das Werk eines Mystikers, der das Verhältnis von Politik
und Männlichkeit um 1900 neu definierte: Der Philosoph und Schriftsteller Hans
Blüher (1888-1955) ist kaum mehr bekannt. Dennoch ist er einer der
prononciertesten Vertreter der Konservativen Revolution. Er schrieb die erste
Geschichte des "Wandervogels" und war seinerzeit vor allem bekannt
durch die überzeugende theoretische Verknüpfung der sozialen
Erscheinungsformen des Männerbundes und der damals noch neuen
Jugendbewegung.
Das Standardwerk zur "Konservativen Revolution" von Armin Mohler
stellt bis heute fest: "Von einer Rezeption Blühers (...) kann allerdings
nur bedingt gesprochen werden." Genauso kommt die Autorin zu dem Schluß,
daß es eine Monographie über Hans Blüher oder eine Analyse seines Werkes
nicht gibt. Sie trägt nun zur Füllung dieser Lücke bei, was nicht nur durch
ein bisher nicht gekanntes umfassendes Werksverzeichnis Blühers am Ende des
Werkes bestätigt wird.
Blüher entwarf in seinem Werk furchtbare Theorien zur wahren Männlichkeit bis
hin zu der interessanten aber nicht notwendig akzeptierbaren Erkenntnis, daß
die Homosexualität als höchster Zustand des Menschseins zu preisen sei. Das
mann-männliche Eros galt Blüher als Grundlage von Staat und Gesellschaft, was
als Theorem zumindest auf Thomas Mann, Gottfrid Benn oder Reiner Maria Rilke
großen Eindruck machte. Blüher war damit und natürlich als Vertreter der
Konservativen Revolution ein Seismograph für Spannungsfelder in der Moderne und
wirft als erster die "Frauenfrage" auf. Die von Blüher proklamierte
Kulturrevolution sollte eine Bewegung der männerbündischen Jugend gegen ihre
Väter sein. Seine Mitstreiter stehen für ein Prinzip, das sich seit dem
siebzehnten Jahrhundert durchsetzte, nämlich daß die Politik nicht nach dem
Modell der Familie zu organisieren sei, sondern die Herrschaft des Landesvaters
von einer Gesellschaft der Gleichen abzulösen sei. Und doch blieb die neue
Grundlage der Politik wage: Umstritten war, ob neben den Männern auch die
Frauen zu dieser Gesellschaft der Gleichen Zugang erhalten sollten.
Bruns Ausführungen zur Konservativen Revolution sind zwar nicht ganz wertfrei
und nicht gewillt, dieses Phänomen aus seiner Zeit heraus zu verstehen -
sicherlich eine Maxime redlicher und nicht normativ-gefesselter Wissenschaft -,
wirft aber Blüher stellenweise "Unwissenschaftlichkeit" vor, was sich
jedoch dadurch entkräften ließe, daß Blüher gar kein Wissenschaftler im
heute verstandenen profanen Sinn sein wollte, sondern Mystiker. Dies merkt man
an seinem späten Werk "Die Achse der Natur". Was nun der Leser
vermißt, ist eine ausführliche Darstellung des Lebens Blüher bis in die 50er
Jahre sowie eine Analyse seines Spätwerkes. Dies hätte die vorliegende
durchaus notwendige Monographie noch vervollständigt. Ebenso ignoriert Bruns
politisch korrekt und beflissen die eigentlich nicht mehr zu ignorierende Studie
Karlheinz Weißmanns zum Thema. Sie nennt sich "Männerbund" und
beinhaltet Exkurse zu Themen wie Frauenbünde, Ekstatische Geheimbünde,
Homoerotik oder Mithraskult.
Fazit
Die Autorin schildert in ihrer Studie dennoch recht gut das Spannungsverhältnis
zwischen der Emanzipation der Homosexuellen und der politischen
Selbstinszenierung wahrer Männlichkeit im 20. Jahrhundert.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 22. März 2009 2009-03-22 12:06:39