Ein Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR meinte einst zur
Revolte von 1968, daß sich das neurotische Verhalten und die archaische
Struktur bei den Studenten fest ausbilde, so etwa bei Andraes Baader, der als
Prolet der RAF gesehen wird. Die Oppositionsgruppen im Frühstadium seien nicht
unter politischen Maßstäben zu sehen. Und in der Tat: Erst im parallelen
Verlauf zur Destabilisierung des politischen Systems haben die oppositionellen
Gruppen in ihrer Gründung und Wirkung politischen Erfolg. Die Anarchie und der
kleinbürgerlich-ultralinke Guerillerismus gipfelten für die MfS-Gutachter
schon früh in einer pseudolinken terroristischen Organisation, der RAF. In ihr
bildeten sich schnell Anführer, Aktive, Mitläufer, äußerer und innerer Kreis
heraus. Der Zusammenhalt erfolgte über die Ideologie, welche auch das
Gruppenmilieu prägte.
Die "revolutionären Kader" der Rote Armee Fraktion (RAF) wollten das
Volk gegen die Obrigkeit aufbringen. Am Ende wurde es, wie von Heinrich Böll
befürchtet, ein "Krieg von sechs gegen sechzig Millionen". Das
Unbehagen, das die Terroristen in der Wohlstandsgesellschaft verspürten,
verband sie mit einem großen Teil ihrer Generation.
Auch wenn ein "Guerillakampf" in Deutschland sinnlos war - die
Terroristen glaubten, ihn mit allen Mitteln führen zu müssen. Der
"faschistische" Staat wird als Feind empfunden und Widerstand gegen
ihn als notwendig erachtet. Der Widerstand solle dafür sorgen, daß der
Faschismus nie wiederkehre. Die Besitzlosigkeit und die Illegalität galten
vielen Aktiven und Mitläufern als einzige mögliche Lebensformen. Militärische
Ausbildungen in Jordanien und Beschaffungsaktionen von Waffen waren schnell
geregelt. Die RAF war eine Gruppe nach dem Vorbild der Stadt-Guerilla in
Brasilien. Das Denken war geprägt von rationalem Kalkül und mit hoher
Opferbereitschaft. Was hat diese Bürgerkinder so weit gebracht, dem Staat den
Krieg zu erklären? Gab es vernünftige Gründe für ihren Extremismus? Was war
die RAF, wer waren die Soldaten dieser Freischärlerarmee?
Nun hat wiederum ein Journalist eine "Geschichte der RAF" vorgelegt:
Willi Winkler (geb. 1957), bislang eher als Kulturkritiker und Polemiker in der
"Süddeutschen Zeitung" bekannt. Es geht dem Autor um eine
Kontextualisierung der RAF, die Einbettung ihrer Geschichte in die
Nachkriegszeit. Seine Hauptthese: Die RAF habe sich zum "Werkzeug der
Studentenbewegung" gemacht und sei "erst in der Reaktion auf
staatliche Gewalt in Terror" umgeschlagen. Er mag damit Recht haben oder
nicht. Eindeutig ist, daß generell das Primat der Praxis und des gewaltbereiten
Handelns gegen den Staat galt und nicht mehr das der Theorie, wie 1968 noch
üblich. Hier nützt es auch nicht zu fragen, wer angefangen hat.
Kaum angemerkt wird im vorliegenden Buch folgendes: Die Gewalt wurde auch durch
den Verfassungsschutz zunächst in die Außerparlamentarische Opposition (APO)
hineingetragen, um sie dann diskreditieren zu können. Das Wirken dieser Art von
offensivem Vorgehen der Inlandsgeheimdienste spitzte die Situation zu, ließ das
Märchen von der Gewaltbereitschaft Dutschkes entstehen und war natürlich in
Reaktion auch der Entstehung der RAF förderlich. Was der Autor ebenso nicht
sieht, ist, daß es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne die tödlichen
Schüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg in Kombination mit dem offensiven
Wirken des Geheimdienstes zur Gründung einer bewaffneten, sich als
"Guerilla in den Metropolen" verstehenden Gruppe gekommen wäre.
Wie bei der APO wirkte auch bei der RAF die revolutionäre Selbstfaszination.
Sie war der leidenschaftliche Impetus. Die Wirkung: Die politisch und
gesellschaftlich links orientierten, antiautoritären, hedonistischen Ansätze
der RAF haben große Teile des Establishments stark verunsichert. Ohne die RAF
und ihre Gewalttaten wären der Radikalenerlaß und die massive Aufrüstung der
Polizei nicht möglich gewesen. Die Angehörigen der Widerstandsgruppen haben
sich in einer außer Kontrolle geratenen Gewaltspirale für staatliche
Maßnahmen instrumentalisieren lassen.
Als Ausdruck des politischen Existenzialismus ist zu werten, daß in der Gewalt
der Ausweg gesehen wurde. Diese politische Romantik ließ keine Reflexion zu.
Sie ist das Ende des Denkens, wie es der Staatsrechtler Carl Schmitt schon
erkannte. Nur der Ekel am System treibt voran. Aus Sicht der RAF war die
Revolution eine Sache der Unmittelbarkeit, und sie war real. Alle anderen wurden
als karrieristische Spießer gesehen. Unmittelbarkeit der Revolution bedeutet,
daß die Revolution zum Subjekt erklärt und ihr die Rolle des Schicksals
zugeschrieben wird. Über eine feste Organisation wurde militärische Disziplin
eingeführt. Kampf und Unterwerfung werden hochstilisiert. Die RAF besaß ihre
eigene Kausalität.
Fazit
Winkler schildert hier in Grundzügen die gesamte Geschichte der RAF. Gäbe es
nur diese Publikation, so würde der Leser so manches wichtige Detail vermissen.
Die zwar an sich zuverlässige Darstellung ist stellenweise dennoch etwas zu
kurz gegriffen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 21. März 2009 2009-03-21 16:40:38