Der Konstruktivismus als philosophische Auffassung besagt insbesondere, daß wir
die materielle Welt, die verschiedenen Wissenschaften, die Mathematik, die Logik
und weitere empirische Konfigurationen als Individuen konstruieren, und zwar als
subjektive Bilder der eigenen Vorstellung. Diese Dinge sind dann nicht mehr vom
Individuum als objektiver Tatbestand erkennbar und entdeckt worden, d.h. in der
Realität wahrgenommen. Nein, sie existierten im Wahrnehmenden selbst, also
nicht unabhängig vom Denken und Handeln der Menschen. Sie sind Produkte des
eigenen Vorstellungsvermögens. Hierzu gibt es verschiedene philosophische
Strömungen die der Begriff des Konstruktivismus geprägt hat. Den Methodischen
Konstruktivismus der "Erlanger Schule" und den Radikalen
Konstruktivismus. Diese beiden Varianten sind zu unterscheiden. Während der
eine die Möglichkeit einer konstruierten Welt methodisch in Erwägung zieht,
geht die andere Variante in der Interpretation der Wirklichkeit grundsätzlich
davon aus.
Als zentraler Datentyp der Natur- und Sozialwissenschaften steht die Kurve im
Zeichen einer technisch abgesicherten vermeintlichen Objektivität, die
umgekehrt den Kultur- und Geisteswissenschaften dezidiert abgesprochen wird. Das
vorliegende Buch gilt dem Versuch, diese eindeutige Zuweisung als Phantasma der
Moderne zu lesen, d.h. Kurven nicht als Objektivum zu betrachten. Kurz: Es steht
die Frage im Raum, ob Kurven Gegenstände der Oberfläche sind, oder sie
vielmehr über eine weitere Dimension des Hintergründigen verfügen. Denn - in
der Formgebung der Natur könne sie nicht als erschöpft betrachtet werden. Die
vermeintlich unerschöpfliche Quelle der Mustergenerierung steht damit eindeutig
im Zweifel. Kurven sind nur formalisierte Agenten mathematischer Funktionen.
Die Frage, was mit Kurven überhaupt anzufangen ist und welchen Erkenntniswert
sie haben, wird zum Einfallstor für alle nur denkbaren Irrationalismen und
Subjektivitäten. Im Rückgriff auf die Kurve kann am Methodenideal der
Naturwissenschaften partizipiert werden, ohne dabei jedoch die semantischen
Bedürfnisse der Geistes- und Kulturwissenschaften preiszugeben. Der
strategische Umgang mit Kurven wird so zu einem wissenschaftsgeschichtlich
präzisen Kommentar zum prekären Verhältnis der beiden Wissenschaftskulturen.
Fazit
Die Grundaussage des Buches liest sich interessant: Das hypertrophe Datenreich
im Zeichen unterschiedlicher Kurventypen, welche die Moderne mit sich brachte,
stellt eine eigene Phantasmatik dar. Sie hat Anteil an vermeintlich
feststehenden Vorstellungen über Evidenz in der Natur. Doch ist dies wirklich
so oder ist die Natur vielmehr gar nicht derart formalistisch zu fassen? -
Dieses Buch gibt die Antwort!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 15. März 2009 2009-03-15 12:24:33