Mit Interesse habe ich die neue Hitler-Biographie von Christian Graf von Krockow
gelesen. Wie in seinen früheren Publikationen (etwa: "Friedrich der
Grosse"; "Bismarck"; "Churchill") besticht der
souveräne Umgang mit Quellen, die gewissenhaft ausgewertet werden. So entsteht
ein plastisches Bild der Wirkung Adolf Hitlers. Die Wirkung Hitlers auf die
Deutschen erklärt Krockow vor allem mit zwei Faktoren (vgl. S. 290): zum einen
der Sehnsucht der Deutschen nach Sicherheit und Ruhe nach den
Existenzbedrohungen durch Inflation und Weltwirtschaftskrise in der Weimarer
Republik sowie dem "Glanz der Macht", an dem der Einzelne teilhabe,
wenn er in gläubigem Gehorsam den Führerbefehlen folgten.
Vernachlässigt wird meiner Meinung nach das Faktum der sogenannten
charismatischen Herrschaft, welches der Hitler-Biograph
Ian Kershaw eindrucksvoll in seinen
Schriften, insbesondere: "Hitlers Macht" und "Der
Hitler-Mythos" herausgearbeitet hat. Neu für mich ist, dass Hitlers Jugend
nicht als Versagen, sondern als Verwirklichung eines Traums gedeutet wird - die
Wiener Jahre des späteren Diktators werden nicht als Versagen gedeutet, sondern
als Erfolg: Hitler habe sich nicht der Wirklichkeit anpassen wollen und sich ihr
"ergeben": "Wenn darum die Wirklichkeit sich ihm verschloss - um
so schlimmer für die Wirklichkeit! Dann musste man sie umstürzen, vernichten,
und so den Traum gegen sie durchsetzen". Hitlers Affinität zu Karl May
kann so erklärt werden. Hitler führte das "Leben eines Taugenichts"
(in Anlehnung an Eichendorffs Erzählung, die Krockow auch zitiert). Insofern
gibt es interessante Neuansätze, wenn auch - wie dies bei jeder Biographie
problematisch ist - die Wechselbeziehung zwischen dem Biographierten und den
gesellschaftlichen Kräften nicht deutlich genug hervorgearbeitet wird; es war
nicht nur die "Tatkraft" Hitlers, es war ebenso die allgemeine
Anfälligkeit des Zwischeneuropa für faschistische und nationalsozialistische
Bewegungen (vgl. hierzu die Schrift von Wippermann: "Europäischer
Faschismus im Vergleich"). Diesen Mangel teilt Krockow aber auch mit
anderen Biographien von Konrad Heiden (1937) bis hin zu Kershaw (1998/2000),
auch wenn letzterer meint, diesen Widerspruch aufgelöst zu haben.
Hier genau setzt auch meine kritische Frage an. Diese Biographie bringt für
mich nichts wirklich "Neues", was über das hinausgeht, was
insbesondere Haffner in seinen "Anmerkungen zu Hitler", der Hitler als
Revolutionär versteht, gesagt hat. Auch Hitlers Wirkung auf die Deutschen ist
bereits beschrieben worden. Zwar deutet Krockow Traditionen in der deutschen
politischen Kultur einer gewissen Kompromißlosigkeit und Radikalität in der
Figur Hitlers an (S. 17), jedoch wird mir dies zuwenig ausgeführt. Warum waren
Hitler und seine Bewegung ungleich radikaler als der italienische Faschismus
Mussolinis oder Spaniens? Hängt dies wirklich mit der deutschen politischen
Kultur zusammen? Auf diese Fragen, auf die die bisherigen Biographien (und auch
die in ihrem Neuigkeitswert durchaus enttäuschende Biographie von Kershaw)
keine befriedigenden Antworten geben, hätte ich gerne mehr gewußt.
Für mich bleibt als Fazit: Die beste Hitler-Biographie ist auch die kürzeste:
Sebastian Haffners
"Anmerkungen zu Hitler" (siehe meine dortige Rezension). Die
"Offenbach-Post" bemerkte zu Recht beim Tode des Autors, er habe das
Beste geschrieben, was je zu Hitler publiziert wurde. Dies gilt auch nach dem
Erscheinen dieser keineswegs schlechten Biographie. Ich bin aber doch der
Meinung, dass bei der Anzahl der vorliegenden Hitler-Biographien jede neue
Biographie einen neuen Gedanken bringen muß oder neue Forschungsergebnisse
vermitteln sollte, um den Aufwand zu "rechtfertigen". Dies kann ich
bei der vorliegenden Biographie beim besten Willen nicht erkennen.