In der deutschen Staatsphilosophie des Wissenschaftlers Max Wundt kommt es immer
wieder auf die Differenzierung an, ob in einer Form des Staates mehr die Einheit
oder mehr die Trennung zur Geltung kommt. Der wahre Staat solle in seiner Form
beides enthalten, denn dann ist die Vernünftigkeit des staatlichen Willens am
sichersten gewährleistet. Dominiert jedoch ein Element, so etwa das
Destruktive, Trennende und Vernichtende, keimt der Widerstand. Und neigt man
dazu zu sagen, der Nationalsozialismus sei getragen von destruktiven Tendenzen
gewesen, so mag dies richtig sein, muß aber stets auch vor dem Hintergrund
gesehen werden, das eine der effektivsten Taten des Widerstandes nur auf Basis
staatsphilosophischer deutscher Bildung aus Deutschland selbst kommen konnte und
auch kam, um wieder verbindende und versöhnende Elemente einzuführen.
So kann sich auch das am 20. Juli 1944 verübte Attentat Claus Schenk Graf von
Stauffenbergs auf Hitler besser verstehen lassen. Der Historiker Peter Hoffmann,
einer der besten Kenner des deutschen Widerstands, entwirft in seiner zum
Standardwerk gewordenen Biographie ein faszinierendes Porträt Stauffenbergs,
seines familiären Umfelds und - deshalb ist das Buch etwas Besonderes - seiner
geistigen Wurzeln. Das Werk hebt sich damit positiv vom
TV-Guido-Knopp-Mainstream-Firlefanz ab. Der Autor Hoffmann schildert den
schwierigen Weg des Offiziers, der sich lange an den Treueeid auf Hitler
gebunden fühlte, hin zum Widerstandskämpfer, der die Ermordung Hitlers als
einzigen Ausweg sah. Dies geschieht ganz zentral parallel zu den Schilderungen
des geistigen Bildungsweges Stauffenbergs bis hin zum Attentat.
Hoffmann hat in seiner Biografie ein Standardwerk geschaffen, daß mit vielen
Details zur Person Stauffenbergs aufwartet und beeindruckt. So etwa, daß der
zukünftige Attentäter die Angewohnheit hatte, seine Arbeit zu unterbrechen und
ein Gedicht Stefan Georges vorzutragen. Dies zeigt, daß Stauffenberg ein
geistiger Mensch war und daß der philosophisch und lyrisch feinfühlige Geist
seiner Person das Attentat oder den Entschluß dazu erst möglich machte.
Für Stauffenberg kam das neue, geheime Deutschland am besten in der Lyrik zu
Wort. Seine Seher waren Hölderlin oder geben George. Stauffenberg hat sich,
gebunden an diese Dichter und Denker, einem Bund verschrieben, dessen Ziele
höher standen als kurzzeitige Vorteile oder persönliche Beziehungen. Er
forderte die Kraft des ganzen Menschen, den Mut und die Entscheidung. Diese
Basis war der Nährboden für seine Verschwörung, für den Versuch, den ersten
Schritt hin zum besseren Deutschland zu tun. So ist das Prägebild des
"Geheimen Deutschland" nicht ignorierbar, wenn es um eine sinnvolle
Erzählung der Geschichte des 20. Juli geht. Es ist das Vermächtnis für ein
besseres Deutschland, und zwar immer wieder und zu jeder Zeit. Stauffenberg
hoffte - und dafür stehen auch die lehrreichen Zeilen Hoffmanns - daß einem
Deutschland, das sich selbst befreit hätte, die Vernichtung durch die Sieger
aus Gründen der politischen und wirtschaftlichen Vernunft erspart bleiben
würde. Wenn sich der Widerstand geirrt haben sollte, so nur in diesem Punkte,
denn was 1945 folgte, war die geistesgeschichtliche und physische Vernichtung
Deutschlands und seiner Traditionen von vor dem Interregnum des NS.
Die unerbittliche Forderung jener Männer um Stauffenberg war: Die geistige
Wandlung des Menschen, d.h. die Absage an den Materialismus und die Überwindung
des Nihilismus als Lebensform. Der Mensch sollte wieder hineingestellt werden in
eine Welt christlicher Ordnung, die im Metaphysischen ihre Wurzeln hat; er
sollte wieder atmen können in der ganzen Weite des Raumes, die zwischen Himmel
und Erde liegt. Er sollte befreit werden von der Enge einer Welt, die sich
selbst verabsolutiert, weil Blut und Rasse und Kausalitätsgesetz ihre letzten
Weisheiten waren. Und eben damit waren diese Revolutionäre weit mehr als nur
die Antipoden von Hitler und seinem unseligen System; ihr Kampf ist neben der
aktuellen Bedeutung für das Zeitgeschehen unserer Tage auf einer höheren Ebene
der Versuch gewesen, das 19. Jahrhundert geistig zu überwinden. Wer diese
Fakten nicht kennt, kennt auch die Geschichte des Widerstandes nicht.
Fazit
Wir haben damit eine der besten und konkretesten Darstellungen der
Geistesgeschichte des 20. Juli vorliegen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 07. März 2009 2009-03-07 15:46:25