Die von dem Gorbatschow-Biographen Alexander Rahr neu vorgelegte
Putin-Biographie ist schlicht hervorragend. Lebenslauf und Politik -
insbesondere die Kapitel, welche die Verflechtung der Oligarchen mit Wirtschaft
und Politik insbesondere in der zweiten Amtszeit von Boris Jelzin beschreiben -
im Westen bekannt sind insbesondere die Magnaten Beresowski, Gussinski und
Abramowitsch, geben einen für mich in dieser Weise nicht gekannten Einblick in
die Mechanismen russischer Politik. Gerade der Einfluß der Oligarchen war immer
nicht "greifbar", jedoch - hier ist westlichen Analytikern völlig
recht zu geben - war die Politik Jelzins ohne diese Oligarchen nicht zu fassen.
Etwas nüchterner fällt - in diesem Stadium naturgemäß - die Bilanz der
ersten Schritte der Politik von Putin aus. Die Frage, ob Putin ein neuer
"Andropow" sei (S. 248) bleibt offen. Ob Putin wirklich das Image
eines aufgeklärten Herrscheers vermittelt - so Rahr -, der Reformen nach dem
"chinesischen Modell" durchsetzen wolle und als Ziel habe, die
Rückkehr eines starken Ordnungsstaates zu erreichen, ist offen. Zweifelhaft
bleibt für mich die Feststellung, diese Politik solle ohne Aufgabe der in den
letzten Jahren errungenen demokratisch-liberalen Werte geschehen - die Angriffe
auf die Pressefreiheit (siehe den Druck auf das Imperium von Gussinsky und den
unabhängigen Fernsehsender NTV) sind doch zu offensichtlich. Für mich zeichnet
Rahr ein zu positives Bild von Wladimir Putin. Interessant ist jedoch die
Konstatierung der schon mehrfach bekannten Deutschfreundlichkeit des
neugewählten Präsidenten durch Rahr. Welche zukünftige Politik von dem neuen
Kremlchef jedoch zu erwarten ist, wird nur sehr sporadisch behandelt und bleibt
noch äußerst vage. Interessant sind insbesondere die machtpolitischen
Betrachtungen der Biographie. Auf S. 46 konstatiert er, neben Putin seien der
Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Sergej Iwanow und Putins Nachfolger
als Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Patruschew, Mitglieder der neuen
"Troika", die Rußland regiere. Eindrucksvoll auch die
wirtschaftlichen Zahlen, die die Misere Rußlands deutlich machen. Diese
Mißstände sind dem Präsidenten, wie aus seiner kürzlich erfolgten Ansprache
an die Nation deutlich wurde, sehr bewußt. Rußland, so konstatierte er, sei
wirtschaftspolitisch auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Sein hartes
Vorgehen gegen die Gouverneure wird aus seiner Beschäftigung mit den
Beziehungen zwischen Zentrum und Republiken seit 1998 - er wurde damals erster
stellvertretender Vorsitzender der Administration des Präsidenten deutlich.
Positiv an der Biographie sind auch die zahlreichen Gespräche, die der Autor,
Programmdirektor für Russland und die GUS der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik, mit russischen Politikern führte. Deren Einschätzung der
Dinge bringt er in dieser äußerst lesbar und spannend geschriebenen Biographie
mit ein, zumal er mit allen wichtigen Spitzenpolitikern Rußlands sprach.
Ich teile nicht das negative Bild des Verfassers über Gorbatschow und kreide
ihm auch manchen Hang zu Spekulationen an (wenn er über die machtpolitischen
Beziehungen der Akteure spricht), da er einige Feststellungen - ähnlich wie in
seiner früheren Gorbatschow-Biographie - nicht belegt. Negativ zu werten ist
auch, daß es weder ein Literaturverzeichnis noch ein Personenregister oder
einen tabellarischen Lebenslauf Putins gibt. Hier ist die von Wolfgang Seiffert
erschienen Putin-Biographie, die in einem Anhang auch Reden Putins nachweist,
wesentlich fundierter. Insofern können gewisse Feststellungen nicht
zweifelsfrei nachvollzogen werden und bleiben - wie oben erwähnt - spekulativ.
Insgesamt jedoch eine hervorragende und äußerst informative, spannend
geschriebene Biographie des neuen ersten Mannes der UdSSR, die sicherlich bald
ein Standardwerk zu Putin und der Politik der letzten Jelzin-Jahre sein wird.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 10. Mai 2003 2003-05-10 08:24:51