"Die wahre Geschichte" niederschreiben zu wollen, wie es das
vorliegende Buch im Titel sich vornimmt, bedeutet, wesentlich Neues an den Tag
zu legen, das dem allgemein Interessierten aber auch dem profunden Kenner noch
verborgen blieb. Was Knopp aber in seinem Buch darbietet, ist lediglich das, was
die durchaus bekannte Geschichte ausmacht, wobei wesentliche
geistesgeschichtliche und politische Hintergründe fehlen und nur der bekannte
Ablauf des Attentatversuchs Stauffenbergs auf Hitler reproduziert wird.
Viele Geschichten prägen das Bild Claus Schenk Graf von Stauffenbergs, des
Helden des deutschen Widerstands. Viel ist über ihn geschrieben worden,
Hollywood hat ihn für sich entdeckt - und wieder einmal die deutsche
TV-Maschinerie. Das Buch zeigt zwar trefflich ein Psychogramm dieser
ungewöhnlichen Persönlichkeit auf und ist bemüht, die Realität hinter den
oft als solche angesehenen "Mythen" des Stauffenberg-Attentats zu
beschreiben. Das Buch stellt sich die Frage: "Was ist Mythos an
Stauffenbergs Geschichte?", "Was ist belegbar an jenem Tag, der wie
kein anderer Gegenstand von Legenden wurde?"
Was dabei deutlich zu kurz kommt ist das Wissen davon, daß ja gerade der Mythos
hinter der Motivation des Attentats von Stauffenberg stand und den wesentlichen
Antrieb zur realistischen Umsetzung seiner Pläne gegen Hitler darstellte. -
Ohne Analyse der geisteswissenschaftlichen Mythen kein volles Verständnis
Stauffenbergs und des 20. Juli 1944!
Entgegen dem, was man also als wirklich neu erwarten könnte, zeigt das Buch
nicht die tiefere geistesgeschichtliche Dimension und die Entwicklung eines
deutschen und patriotischen Offiziers zum Attentäter. Es wird gerade nicht
dargestellt, welchen Einfluß der Dichter Stefan George auf ihn gehabt, welche
Ideen er durch George kennen gelernt und welche Gedanken er selbst daraus
entwickelt hat. So wird für den Zuschauer weder klar, was er sich von Hitlers
Regime versprochen, noch warum er sich später dagegen gewendet hat. Was war
dieses nun? - Man sollte es benennen.
Ein verankertes und rational faßbares Menschenbild freier Individuen hat aus
dieser Sicht einen die Wirklichkeit erfassenden Anspruch und sieht sich über
abstrakte Universalismen erhaben. Auf diese Position im deutschen Widerstand
beruft sich Alfred Delp (1907-1945), jesuitischer Soziologe des Kreisauer
Kreises und am 2. Februar 1945 hingerichtet, wenn er in seiner Zelle als
Verurteilter formulierte: "Der idealistische Mensch ist mehr Mensch als der
rein faktische und praktische." Der innerste Grund des deutschen Menschen
bleibe unantastbar. Er weise einen Charakter auf, der in seinem realen Anspruch
wohlklingende Ideologien skeptisch betrachtet und über alle temporären
Heilsbotschaften hinweg existent bleibe.
Eberhard Zeller definierte das Handeln dieses deutschen Menschen insbesondere in
Bezug auf die Tat Stauffenbergs als "Aufstand des Geistes." Er trifft
damit den Kern der Sache, weil die direkte Kontinuität dieses Geistes zur
deutschen Staatsphilosophie ein Denken in Kategorien der Geschichte, des
sittlichen Ideals und gesinnungsfreier Politik mit allen verfassungspolitischen
Konsequenzen bedeutet. Die Definition eines solchen Staatsverständnisses, das
die Volksvertretung auch ohne das monologische Gepräge individualistischer
Parteien im Rahmen einer Einbettung des Individuums in gewachsene dialogische
Gemeinschaftsbezüge ermöglichen sollte, läßt sich im Sinne Claus von
Stauffenbergs selbst fassen:
"Wir wollen ein Volk, das in der Erde der Heimat verwurzelt, den
natürlichen Mächten nahe bleibt, das im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen
(...) sein Genüge findet und in freiem Stolze die niederen Triebe des Neides
und der Mißgunst überwindet."
Es ist klar, daß sich Stauffenberg damit vom Nationalsozialismus distanzierte
und sich gewiß auch vom heutigen Parteienstaat distanzieren würde. Nach dem
gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 hat sich diese Haltung
und ihre politische Konsequenz nicht freiwillig zum Zwecke von
"Freiheit" und "Wohlstand" verabschiedet. Dies zum einen,
indem der deutsche politische Widerstand um Goerdeler als potentiell
‚nationalistisch’ präjudiziert wurde. Zum anderen lag seit 1946 längst ein
Entwurf des künftigen deutschen Grundgesetzes nach amerikanischer Präferenz im
amerikanischen Geheimdienst (OSS/CIA) und dem US-Außenministerium vor. (Office
of Intelligence Coordination and Liaison 1946: Der grundsätzliche Charakter
eines zukünftigen deutschen Regierungssystems. Erster Entwurf, Report Nr.
3521.9, Dokument I.2, in: Söllner, Alfons (Hrsg.) 1986 b: Zur Archäologie der
Demokratie in Deutschland. Band 2: Analysen von politischen Emigranten im
amerikanischen Außenministerium 1946-1949, Frankfurt/M)
So konnte nach 1949 jede Bezugnahme auf die staatsphilosophische Tradition des
konservativen Widerstandes im Rahmen der nicht ergebnisoffen verstandenen
Ideologiegehalte ‚demokratisch’ und ‚friedlich’, welche sich über die
Definition der ‚freiheitlich-demokratischen Grundordnung’ aus der
Gesamtsicht bundesdeutscher Parteiendemokratie ergaben, als ‚militaristisch’
denunziert werden, um eine solche Bezugnahme dann über die Besatzungsmächte
(gemäß Art. 139 GG) vorübergehend extrakonstitutionell (nicht mit dem
Grundgesetz vereinbar) verbieten zu können. Damit war der Weg zu einer eigenen
Wiedergeburt der Demokratie im westlichen Nachkriegsdeutschland verstellt. Das
macht die eigentliche Tragik der gescheiterten Tat Stauffenbergs aus!
Derartige Erkenntnisse hätten wirklich etwas Neues bedeutet und hätten sich
wohltuend von der lediglichen Reproduktion der Geschehnisse des 20. Juli 1944
abgehoben. Enttäuscht ist der Leser besonders von der Art, wie mit
Stauffenbergs letztem Satz vor seiner standrechtlichen Erschießung umgegangen
wurde. Historiker und Zeitzeugen streiten, ob der Oberst "Es lebe das
geheime Deutschland!" oder "Es lebe das heilige Deutschland!"
ausgerufen habe. Guido Knopp entzieht sich diesem Streit im Film, indem er den
Satz nach "Es lebe das...!" im Gewehrfeuer abreißen läßt. Hierauf
jedoch einzugehen hätte bedeutet, die tiefer wurzelnden Motive Stauffenbergs zu
verstehen. - Freilich wäre dies nicht vermarktbar gewesen. Und so bleibt das
vorliegende Buch auch nicht mehr als kommerzielles Infotainment.
Stefan George war unter den deutschen Dichtern im ersten Drittel des 20.
Jahrhunderts zweifellos der einflussreichste. Er hat die deutsche Lyrik
entscheidend geprägt. Zu Georges Anhängerschaft gehörte Stauffenberg. Und es
fehlt in Knopps Buch der überfällig gewesene sinnvolle Ansatz, auch den
Begriff "Geheimes Deutschland", der das Verhältnis des deutschen
Soldaten zu dem Dichter prägte, näher zu erklären. Drei lapidare Sätze
findet Knopp dafür im Buch. Und so schwer es zwar ist, diese lyrische Form mit
konkretem Inhalt zu füllen, so gilt es zu bedenken, daß es vorrangig jene
spirituellen und mythologischen Motive waren, welche die Gedankenwelt des
politischen Widerstandes 1944 trugen. Sie stehen dafür, daß Georges neues
Reich nicht nur durch Politik herbeigeführt werden sollte, sondern durch die
Vernichtung aller Politik und durch das Ideal der "kunst für die
kunst". - Eine selbstständige Kunst. Eine absolute Kunst, die die
Entsagung von jeglichem parteipolitischem Profanen verheißt und in der einen
den gutbürgerlichen Weg verneinenden Tat des Grafen Stauffenberg ihren
empirischen Widerhall fand.
Und diese Tat war nicht profan. Sie versteht sich vor dem Hintergrund der
getroffenen Entscheidung eines Bruchs mit dem bürgerlichem Lebensideal in dem
Wissen davon, sich notfalls opfern zu müssen. Dadurch entstand bei George und
seinen Anhängern ein eigener Lebenskreis, getragen von Selbstdisziplin und
gelebter Ästhetik. Das Stauffenberg-Attentat versteht sich nur hieraus
vollends. -
Fazit
Wer also bekannte Fakten vertiefen möchte, greife zu diesem Buch. Wer
geistesgeschichtliche Hintergründe und damit die ganze Geschichte abseits des
TV-Infotainments verstehen möchte, forsche autonom über andere, bessere
Quellen zum Thema.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 01. Februar 2009 2009-02-01 12:39:59