Nachdem
Winterhoff in seinem ersten Buch noch nicht schlüssig
begründen konnte, warum er ganz Deutschland als pädagogische Notstandszone
betrachtet, weckte Lemans optimistisches Versprechen "Verwandeln Sie ihr
Kind in 5 Tagen" meine Neugier. ABC - Ansichten, Benehmen, Charakter will
der amerikanische Psychologe in wenigen Tagen verändern. Ansichten sollen
unsere Kinder entwickeln und vertreten können, ihren Charakter beeinflussen
Erfahrungen und Vorbilder. Wie viel Einfluss Eltern tatsächlich auf Ansichten
oder Charakter ihrer Kinder ausüben, lässt sich nicht eindeutig feststellen.
Bleibt B, das Benehmen. Leman, der fünffacher Vater und inzwischen Großvater
ist, kommt gleich zur Sache. Eltern sollen in der Erziehung zwischen wichtigen
und unwichtigen Angelegenheiten unterscheiden, ihren Kindern Vorbild sein und
ihre Ansichten eindeutig vertreten. Eltern, die über Macken ihrer Kinder
klagen, sind laut Leman Eltern, die selbst schlechte Angewohnheiten haben.
Spätestens an diesem Punkt erweist sich Lemans einprägsames ABC vom
Titelblatt als Überraschungs-Ei. Damit sich am kindlichen Verhalten etwas
ändert, müssen sich zunächst die Erzieher selbst ändern. Sollte nach 5 Tagen
Lemans optimistisches Ziel nicht erreicht sein, sollten die Kinder sich noch
nicht völlig verändert haben, kann das nur am langsamen Entwicklungs-Tempo der
Erzieher liegen.
Überlegen Sie, ob Ihr Erziehungs-Problem eine Mücke oder ein Elefant ist,
formuliert Leman prägnant. Sagen Sie nur einmal, was sie von ihren Kindern
erwarten und gehen Sie danach aus dem Zimmer. Wenn Sie mehrmals das Gleiche
wiederholen, signalisieren Sie ihren Kindern, dass Sie sie für zu dumm halten,
gleich zu verstehen, was von ihnen erwartet wird. Lassen Sie Ihre Kinder
Verantwortung für ihr Verhalten tragen und die Konsequenzen selbst spüren. Wer
verschläft, kommt zu spät und blamiert sich vor den Klassenkameraden. Wer die
Mutter beim Telefonieren stört, wird vor die Tür gesetzt, bis sie zu Ende
gesprochen hat. Lernen Sie, zwischen Agieren und Reagieren zu unterscheiden,
rein spontane Reaktionen können Ihre Erziehungs-Bemühungen schnell wieder
zunichte machen. Leman fackelt nicht lange und erwartet das selbe Verhalten von
seinen Lesern. Ausreden und Widersprüche von Elternseite sind nicht vorgesehen.
Der amerikanische Psychologe vermittelt Erziehung als beständigen Machtkampf
zwischen Erwachsenen und Kindern. Lemans persönliche Toleranzgrenze ist mit dem
Thema gemeinsamer Kirchgang erreicht. Hier lässt er keine abweichenden
Meinungen zu und geht mit den vorgeschlagenen Strafmaßnahmen über
"natürliche Konsequenzen" weit hinaus. Lemans Humor wird manchen
Eltern nicht gefallen (beugen Sie sich nicht dem Terror manipulativer
Schnullerlutscher). Auch an Lemans Überzeugung, dass trotzende Kinder einen
Klaps aufs Hinterteil brauchen (Seite 214), werden sich die Geister scheiden.
Hat der Autor hier einen Köder für Leser und Zuhörer ausgelegt, um ihnen
seine persönliche Inkonsequenz vor Augen zu führen? Weshalb sollte ein
Kleinkind, dass mit der Konsequenz der Leman-Methode erzogen wird, den
Supermarkt zusammen schreien? Dass die Mutter keine Quengelware kaufen wird, ist
doch von vornherein klar. Das System Leman ist nicht frei von Widersprüchen -
wer seine Kinder dazu anhält, sich gegen Gruppendruck Gleichaltriger
durchzusetzen, muss auch am Familientisch andere Meinungen ertragen können.
Nach einer kurzen Einführung in seine Erziehungsziele im ersten Drittel des
Buches wendet sich der Autor im Teil "Fragen Sie Dr. Leman" konkreten
Fragen zu. Hier gibt er Tipps zu Absprachen mit erwachsenen Kindern, zum
bequemen Hotel Mama, zu Manieren und Machtkämpfen, Meinungsverschiedenheiten
über den Kirchgang, Lügen, Ausreden, Streit ums Piercing, sowie zum Fernseh-
und Computerkonsum. Martialische schwarze Kleidung toleriert der Autor nicht,
seine Einschätzung des Familienlebens im Computerzeitalter wirkt dennoch
zeitgemäß. Lemans konkrete Beispiele aus dem Erziehungsalltag sind deutlich
christlich-US-amerikanisch geprägt. Den Praxis-Teil des Buches finde ich
sprachlich eindeutiger und verständlicher als die Einführung in Lemans
Erziehungsziele.
In der Altherren-Riege der Ratgeber-Autoren können sich Lemans wertkonservative
Erziehungsziele zwischen dem ähnlich argumentierenden
David Walsh, dem verbindlicheren Jesper Juul
Das kompetente Kind und Jan-Uwe
Rogge
Der große
Erziehungsberater durchaus behaupten. Im englischen Original wirken Lemans
Botschaften vermutlich prägnanter; denn Muttersprache, Kultur und
Erziehungsnormen sind eng miteinander verknüpft. Die Übersetzung des Buches
hält sich nah an den englischen Orignal- Text und behält die ABC-Reihe der
Erziehungsziele bei. Treffende deutsche Begriffe wie Disziplin,
Selbstständigkeit oder Urteilsfähigkeit wären hier einprägsamer.