Die Geschichte Italiens übt auf Deutsche eine gewisse Faszination aus. Diese
Binsenweisheit ist nicht erst seit Goethes Italienreise bekannt, sondern schon
seit dem frühen Mittelalter, als germanische Stämme nach Süden zogen, um an
der Pax Romana teilzuhaben (nicht um sie zu zerstören). Im hohen und späten
Mittelalter und auch noch in der frühen Neuzeit standen weite Teile Oberitalien
unter der Herrschaft des deutschen Reiches. Auch das Schicksal als
"verspätete Nation" teilen Deutschland und Italien. Ganz zu schweigen
davon, dass es dem begeisterten Kulturreisenden den Atem verschlägt, wenn er in
der Sixtinischen Kapelle steht oder in den Ruinen des Forum Romanums. Eine
aktualisierte deutschsprachige Darstellung der Geschichte Italiens ist seit
langem überfällig, Seidlmeyers Werk ist knapp 60 Jahre alt und Procaccis Werk
ist nicht immer so zuverlässig, wie man es sich gerne vorstellt. Daher ist es
sehr begrüßenswert, dass der Italienkenner Reinhardt ("
Die
Renaissance in Italien", "
Rom"), ein entsprechendes Übersichtswerk verfasst hat,
welches die Symbiose Italiens aufzeigt. Dieses Nebeneinander von Kommune und
Zentralismus, von Kultur und Krieg, von Glanz und Elend.
Reinhardts Werk ist essayistisch geschrieben. Wer folglich eine Handbuchartige
Darstellung erwartet, wird enttäuscht. Beginnend in der Spätantike werden die
Grundzüge der Geschichte Italiens vom Zusammenbruch des Imperium Romanums über
die deutsche Vorherrschaft im Mittelalter und über Renaissance, zu den
verfeindeten Stadtstaaten der frühene Neuzeit aufgezeigt. Ausführlich
schildert Reinhardt die Wiedervereinigung Italiens durch Sardinien-Piermont und
die Folgen der beiden Weltkriege - und der faschistischen Herrschaft in Italien.
Reinhardt zeigt jedoch auch den schweren Start der neuen Republik auf und die
wirtschaftlichen und sozialen Konflikte der letzten Jahrzehnte, wie er
überhaupt immer Ereignsigeschichte mit Sozial- und Kulturgeschichte verküpft,
all dies in einem angenehmen Stil, der manchmal jedoch recht steif wirkt.
Besonders schmerzlich ist, dass Reinhardt die Zeit bis ca. 1500 nur streift. Die
Quellenlage gäbe besseres her, und so hätte dem Buch 100 Seiten mehr gut
getan. Gerade die Problematik des neuzeitlichen Italiens fusste zu einem nicht
unerheblichen Teil im Mittelalter, so dass eine genauere Betrachtung dieser Zeit
erwünscht, ja sogar notwendig gewesen wäre. So bleibt beim Leser der Eindruck
haften, man habe irgend etwas zwischendurch verpasst, worauf Reinhardt sich im
zweiten Teil jedoch andauernd bezieht (gemeint ist natürlich die Problematik
der Reichsherrschaft in Italien und die Konflikte zwischen den Komunen - diese
werden leider nur angerissen).
Fazit
Insgesamt ist die Darstellung Reinhardts nicht so gelungen, wie man sie sich
wünschen würde. Gerade die Zeit bis 1500 ist nur skizziert, während viele
Problemfelder des neuzeitlichen Italiens ohne dieses Vorwissen nur schwer zu
verstehen sind. Dennoch erfüllt das Buch seinen Zweck, nämlich Italien und
seine Geschichte dem deutschen Publikum näher zu bringen. Doch auch das Fehlen
von wenigstens rudimentären Fussnoten fällt auf. Insgesamt hätte das Buch im
ersten Teil ausgeweitet und im zweiten Teil (der Zeit ab 1700) gestrafft werden
können. So ist das Buch nicht das erhoffte neue deutsche Standardwerk, jedoch
ein gutes Übersichtswerk über dieses wundervolle Land Italien.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 26. April 2003 2003-04-26 12:50:23