Mit Martin Heidegger wurde in der Philosophie erstmals schlüssig hergeleitet,
daß das Dasein grundsätzlich räumlich ist. Es richtet sich gegen die
metaphysisch motivierte Meinung, der Mensch sei zunächst ein geistiges Ding,
das dann nachträglich "in" einen Raum versetzt wird. Dem Zuhandenen
gehört also wesentlich ein Platz, womit das Dasein wesenhaft räumlich in der
Weise der Ent-fernung und der der Ausrichtung ist. Und nur weil das Dasein
räumlich ist, kann es dem Zuhandenen nach Heidegger auch ontisch begegnen.
Es war Carl Schmitt, der den Raumbegriff und seine Wandlung anschließend
geopolitisch beschrieb. Jedesmal wenn durch einen neuen Vorstoß geschichtliche
Kräfte, durch eine Entfesselung neuer Energien, neue Länder und Meere in den
Gesichtskreis des menschlichen Gesamtbewußtseins eintreten, ändern sich für
ihn die Räume geschichtlicher Existenz. Neue Ordnungen und neues Leben neuer
oder wiedergeborener Völker entstehen. Dann kann man von Raumrevolution
sprechen. Beispiele sind die Auswirkungen der Eroberungen Alexander des Großen,
das Römische Reich im ersten Jahrhundert unserer Zeit und die Auswirkungen der
Kreuzzüge auf die Entwicklung Europas. Cäsar erreichte die Raumvorstellung
Europa mit dem Blick nach Nordwesten, der Eroberung Englands.
Das europäische Mittelalter verlandete vollständig. Der Verfall des Römischen
Reiches, der Islam und die Einbrüche der Araber und Türken haben nach Schmitt
jahrhundertlange Verlandung und Verdunkelung Europas mit sich gebracht. Wir
können hier von Territorialisierung sprechen. Europa war eine feudal-agrarische
Landmasse geworden. In der neuen gotischen Kunst, in Architektur, Plastik und
Malerei überwindet eine mächtiger Rhythmus der Bewegung den statischen Raum
der vorangehenden romanischen Kunst und setzt an seine stelle ein dynamisches
Kräftespiel, einen Bewegungsraum. Das gotische Gewölbe ist ein Gefüge, in dem
die Teile und Stücke sich gegenseitig durch ihre Schwere im Gleichgewicht
halten und einander tragen.
Die Frage des Raumes - verknüpft mit der des Seins überhaupt ist damit
umfassender als es scheint.
Dem Verstehen des Raumes widmet sich der vorliegende Band von Richard van de
Sandt. Universum ohne Urknall? Vorrangigkeit des Raums Raum als Existential?
Können wir das Rätsel des Ursprungs des Universums lösen? Befreit sich der
Raum von der fast schon tradierten Einklammerung gegenüber der gewichtigen
Zeit? Brauchen wir nicht eine stetige Verbesserung des Raumverständnisses und
der Raumverhältnisse? Eben diese Fragen mit Blick auf Heidegger und
stellenweise anknüpfend an Carl Schmitt stellt der Autor sich in seinem Buch.
Ihm geht es darum zu ergründen, wie es zu verhindern sei, daß das Raumgefühl
entgleist und ob das Denken des Innen und das Denken des Außen eine gemeinsame
Plattform finden können. Interessant sind die Philosophen und Wissenschaftler
die der Autor hierfür zitiert. Insbesondere knüpft er an die Theorie Albert
Einsteins an. Die Raumologie ist für van de Sandt "keine Fabel",
sondern beschreibt unseren Aufenthalt in der Textur andauernd sich
verschiebender Mannigfaltigkeiten. Damit ein Anfang sei, wurde der Raum
geschaffen. Neben vielen rezipierten Theorien zum Thema sticht vor allem eine
erwähnte hervor, wonach das Sein einen unvorstellbar vollkommenen Seinszustand
im Punkt Omega anstrebe. Diese Theorie stammt aus der Feder des
Evolutionsphilosophen und Mönches Teilhard de Chardin. Schade nur, daß van de
Sandt diese Theorie nicht weiter entfaltet, de Chardin selbst auch nicht weiter
erwähnt.
Kernelemente der Schrift in Anknüpfung an Heidegger sind, daß das Sein
wesentlich Da-Sein als Geworfensein ist, in welchem sich ein tägliches Ringen
und Durchstehen, Sich-Aufrichten und Sich-Anstrengen abspielt, womit das Dasein
seine Existenzfähigkeit zu beweisen hat. Das Sein ist in diesem Sinne immer
Suche nach Halt auf dem persönlichen Feldweg. Das Hinaustreten in die Welt
durch die Geburt als Erscheinen im Raum und als Beginn des Feldweges ist immer
der Übergang zur Präsenz und diese Präsenz ist zugleich immer eine Präsenz
als Sein im Raum. So nimmt dieses Bändchen stellenweise eine sehr treffliche
fatalistische Haltung ein, die der Leser durchaus nachvollziehen kann:
Sein-Können als Entscheidung aus dem Selbst und als Kampf im Leben, in dem es
sich zu bewähren gilt. - Eine exakte, nahezu tiefenphilosophische Analyse des
Seins.
Fazit
Das Buch verdient es, gelesen und verstanden zu werden.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 10. November 2008 2008-11-10 13:54:29