Als in Hamburg-Blankenese ein junges Mädchen tot aufgefunden wird, hoffen
Hauptkommissar Jan Fabel und sein Team zunächst, dass nun ein mehrere Jahre
zurück liegender Vermisstenfall aufgeklärt werden kann. Damals war dem
Haupt-Verdächtigen eine Beteiligung am Verschwinden des vermissten Mädchens
nicht nachzuweisen gewesen. Als kurz darauf eine weitere Tote gefunden wird,
deuten die Indizien auf einen Serientäter hin, der die Körper seiner Opfer auf
perfide Art misshandelt und sie den Ermittlern anschließend wie in einem
Szenario aus einem deutschen Märchen präsentiert. Der Literatur-interessierte
Fabel stößt zufällig auf das Buch eines Literaturwissenschaftlers, das den
Ermittlern Hinweise zu den Märchen-Motiven geben könnte. Während der Täter
immer neue Opfer aus den unterschiedlichsten Milieus öffentlich drapiert,
entwickeln die Nachforschungen der Ermittler sich zu einem spannenden Wettlauf
zwischen herkömmlichen Ermittlungsmethoden und der Suche nach einem Hinweis auf
Täter oder Motiv im Buch des Literatur-Wissenschaftlers Gerhard Weiss.
Craig Russell hat den Schauplatz seines ambitionierten Plots ausführlich
recherchiert, doch es gelingt ihm über die mechanische Nennung von Hamburger
Stadtteilen hinaus nicht, die besondere Atmosphäre der Stadt für seine Leser
lebendig werden zu lassen. Fabel stammt aus einer Kleinstadt an der
Nordseeküste und kam erst als Erwachsener nach Hamburg. Die Chance, Hamburg
aus Fabels Perspektive zu zeigen, vergibt Russell leider völlig. Hinweise auf
spektakuläre aktuelle Mordfälle in Deutschland wie den Fall Meiwes, den
U-Bahn-Schubser oder die Geschichte der besetzten Häuser in der Hafenstraße
demonstrieren zwar die Belesenheit des Autors, sind für den komplexen Fall
jedoch völlig nebensächlich und unterbrechen den Spannungsbogen unnötig. Das
Ermittlerteam - belastet mit den in Krimiserien üblichen Beschwernissen
kriselnder Partnerbeziehungen und noch nicht endgültig überwundenen
traumatischen Erlebnissen im Polizei-Dienst - wird nur sehr oberflächlich
charakterisiert. Die unterschiedlichen Temperamente, der Reiz verschiedener
Mundarten, das tägliche Frotzeln zwischen Städtern und Zugezogenen am
Arbeitsplatz - bei Russell leider völlige Fehlanzeige. Dass Fabel mit seinen
ostfriesischen Kollegen nach Russells Vorstellung Frysk spricht, die zweite
Amtssprache der niederländischen Provinz Friesland, statt Ostfriesisch,
Saterländisch oder Plattdeutsch ist ohne nähere Begründung sehr
unwahrscheinlich. Russells Schilderung des sozialen Hintergrunds der Opfer
erschöpft sich in Klischees, für Familienbeziehungen stehen ihm ohne
Zwischentöne nur die Modelle "gute Mutter" und "schlechte
Mutter" zur Verfügung. Leser eines Thrillers über einen Serientäter
sind jedoch gerade an differenzierteren Schilderungen der Persönlichkeiten von
Verdächtigen, Opfern und Ermittlern interessiert.
Fazit
"Wolfsfährte" hat mit seinem Bezug zu Motiven der Märchen der
Gebrüder Grimm das Potential zu einem spannenden Thriller, doch der Autor
scheitert daran, sich an das Gebot "Show it, don't tell it!" zu
halten. Hamburger oder generell deutsches Lokalkolorit versucht Russell in
Klischees und nebensächlichen Details zu vermitteln. Die deutsche Ausgabe des
Buches leidet unter einer kaum zeitgemäßen Sprache und mangelndem
Sprachgefühl des Übersetzers.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 02. November 2008 2008-11-02 20:02:33