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Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte

Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte

von Wilhelm Capelle
Verlag: Alfred Kröner Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-520-11909-4

Preis: 14,90 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
Die vorliegende Ausgabe de Fragmente der Vorsokratiker ist mehr seit 75 Jahre im Gebrauch. Die Vorsokratiker waren kühne Wegbereiter aller Wissenschaft und Philosophie, gewaltige Persönlichkeiten auf dem Wege zu großer Erkenntnis. Thales behauptete, daß alles aus dem Wasser entstanden sei. Andere fassten ihre philosophischen Gedanken in Visionen und Bilder zusammen, die oft dogmatisch und nicht dialektisch reflektierend, aber dennoch - wie Friedrich Nietzsche betonte - Höhepunkt und Anfang des griechischen Denkens und damit auch des Philosophischen Denkens in Europa überhaupt waren. Erst später kamen Platon und Aristoteles hinzu, die die alten Schriften der Vorsokratiker noch besessen haben müßten, obwohl der Buchhandel erst im Entstehen war. Heute sind die Schriften größtenteils verschollen. Die großartige Leistung des vorliegenden Buches besteht in der Zusammenfassung aller vorhandenen Fragmente und Aussprüche dieser alten Philosophen. Sie wurden geordnet und ins Deutsche übersetzt. Die Philosophie und Wissenschaft der Vorsokratiker löste sich vom Mythos, bzw. ging aus Mythen hervor, ist häufig noch eine Mischung aus wissenschaftlich/philosophischer Welterklärung und Mythenbildung. Das sieht man z. B. an den Weltmodellen des Anaximandros und des Empedokeles.

Die vorsokratische Philosophie entstand nicht im griechischen Mutterland, sondern in den griechischen Kolonien, besonders in Ionien. Deshalb wird die vorsokratische Philosophie auch "Ionische Philosophie" genannt. Der spannendste Vertreter ist zweifellos Heraklit, dessen Lehre im Buch optimal enthalten ist. Schneidende Aphorismen, voll Bitterkeit, den Zeitgeist verurteilend und getragen von der Überzeugung, daß die Welt vom Kampf entgegengesetzter Prinzipien bestimmt werde, beschwört er den Kampf als Weltprinzip. (29 fr. 53, S. 101)

In dem Jonier Heraklit erreicht die griechische Philosophie des 6. Und 5. Jahrhunderts ihren Gipfel. An Stelle der kühlen Strenge des Unterscheidens und Zerlegens, wie sie Aristoteles besitzt, findet man hier, um ein Wort Goethes zu gebrauchen, die "exakte sinnliche Phantasie", eine Richtung auf Gestalten und Gedanken, nicht deren abstrakte Folgerungen, Begriffe und Gesetze. Heraklit ist nicht nur der tiefste, sondern auch der vielseitigste Geist unter ihnen. Der Gedanke in dem Heraklit eine neu Auffassung des kosmischen Daseins gab, ist ein energetischer: der eines reinen, stofflosen, gesetzmäßigen Geschehens. Er ist mit ihr unter den Griechen völlig einsam geblieben; es gibt keine zweite Konzeption dieser Art. Alle anderen Systeme enthalten den Begriff der substanziellen Grundlage.

Eine Darstellung der gesamten Lehre Heraklits ist durch den Verlust seiner Schriften unmöglich geworden, doch das vorliegende Buch bietet eine ernstzunehmende Hilfe beim Nachvollzug seines Denkens. Wir sehen einen Menschen, dessen ganzes Fühlen und Denken unter der Herrschaft einer ungezügelten aristokratischen Neigung stand, die durch Geburt und Erziehung stark angelegt und durch Widerstand und Enttäuschung gereizt und gesteigert war.

Er hat durch seine Sitte für alle Zeit den Typus des vollkommenen Hellenen festgestellt, eine unvergleichlich edle und hohe Kultur des einzelnen Menschen; er vertrat nicht nur Rechte und Interessen, sondern eine Weltanschauung und Sitte. Dieser stolze unbeugsame Mann unter den Vorsokratikern liebte den Unterschied von Herrschenden und Gehorchenden, er hatte Ehrfurcht vor den althergebrachten Sitten und Institutionen, die der Demokratie nicht mehr heilig waren. Durch Abkunft und tiefe Anhänglichkeit an ein Lebensideal geknüpft, wurde er zu einer Zeit geboren, wo dies Ideal keine Daseinsmöglichkeit mehr hatte.

Er betrachtet die Natur nicht an sich selbst als Objekt, nach Erscheinung, Ursprung und Zweck, sein Verfahren ist vielmehr eine Analyse der Naturvorgänge, soweit sie Vorgänge, Veränderungen sind, ihren gesetzlichen Verhältnissen nach. Heraklit kann als der erste Sozialphilosoph, der erste Erkenntnistheoretiker, der erste Psychologe gelten. Er ist der bedeutendste Künstler unter den Vorsokratikern und hat nicht im bescheidensten Sinne didaktisch, geschweige denn populär zu wirken versucht. Das beweist sein nicht auf leichtes Verständnis Rücksicht nehmender Stil und entspricht seiner misanthropen Weltanschauung vollkommen.

Das antike Griechenland war die Wiege der abendländischen Kultur und die griechischen Philosophen sind die Stammväter der abendländischen Philosophie. Kaufleute und Seefahrer lernten verschiedene Religionen und Kulturen kennen. Dies wurde zum Nährboden für Zweifel und eigenes Denken. Unmittelbar und spannend führt uns diese Sammlung von Texten also der großen griechischen Denker den Ursprung der abendländischen Geistesgeschichte vor Augen, als Begriffe wie Natur, Geist, Kosmos, Wissenschaft oder Atom zum ersten Mal überhaupt gedacht wurden. Dabei ziehen vier Jahrhunderte der griechischen Philosophie am Leser vorüber: von Thales und Pythagoras, Xenophanes und Empedokles über eben vor allem Heraklit.
Fazit
Neben den Originalfragmenten der Vorsokratiker in der inzwischen klassischen Übersetzung von Wilhelm Capelle enthält die Ausgabe antike Berichte über sie (die Doxographen). Die Anordnung der Texte nach Gedankenkomplexen, begleitet von ausführlichen Erläuterungen, läßt die Konturen der verschiedenen Denksysteme in ihrem Gesamtzusammenhang aufscheinen.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 02. November 2008

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