In seinen 24 Thesen zur deutschen Sprachpolitik (2004) meinte der deutsche
Sozialphilosoph Johannes Heinrichs einst, daß Sprachpflege immer auch bewußte
Sprachpolitik ist. Bei der Aufgabe der "Sprachpflege" für unsere
Muttersprache - wie für alle gewachsenen Muttersprachen - handele es sich nicht
um eine fachphilologische Aufgabe im Sinne der Pflege eines Denkmals, sondern um
eine ausgesprochen sprachpolitische Aufgabe. Das größte und wichtigste
nationale Kulturprojekt bilde gerade zur Zeit die Erhaltung und kreative
Weiterentwicklung der deutschen Sprache. Und dies heißt nicht Denkmalpflege in
erster Linie durch fachliche Philologie, sondern diese Erhaltung der Sprache ist
für Heinrichs Sache aller, die ihre Muttersprache lieben und unsere
Muttersprache als das verbindende Medium, die "Währung" aller
sonstigen spezifisch nationalen Kulturen betrachten.
Bekannt wurde Heinrichs wesentlich durch seine im Buch "Revolution der
Demokratie" (2003) benannten vier Sphären Wirtschaft, Politik, Kultur und
Grundwerte, die er als Subsysteme eines jeden, besonders aber des staatlich
organisierten sozialen Organismus betrachtet. Der Mensch erkenne sich nur als
wirkender und in einem Beziehungsgefüge zu anderen Elementen. Die
politisch-soziale Ordnung müsse sich aus dem Gesichtspunkt der handelnden
Freiheitssubjekte selbst ergeben, um Ordnung der Freiheit zu sein. Hier benennt
er auch der Selbstbezug als Selbsterkenntnis-durch-Fremderkenntnis: Das
"Du" sei Reflexions-Spiegel, worin das "Ich" sich tiefer
erkenne.
Das Du ist bei Heinrichs die Welle der Freiheit. Der Mensch ist
Selbtsreflexions- und damit Freiheitswesen in Interaktion mit Natur und Dingen.
Alle Elemente sind Vermittlungsinstanzen der Selbstreflexion des Ich. Das
Ausweichen vor dem eigenen denken aber sei heute in Mode. Da Denken aber immer
auch durch Sprache beeinflusst wird, sich beide determinieren, ist das
vorliegende Buch eine sehr begrüßenswerte Publikation, die einige Jahre
später die Thesen des Autors zur notwendigen deutschen Sprachpolitik nochmals
bekräftigt und das Phänomen "Sprache" sehr konkret unter die Lupe
nimmt. In dieser Schrift entfaltet der Autor die Sprache so detailliert, wie
schon lange kein Philosoph mehr. Insbesondere geht es in diesem Band 2 um die
"Bedeutungsdimension" der Sprache.
Schon der Begriff der Semantik lässt sich - typisch für Heinrichs - ohne
Reflexionstheorie nicht präzise fassen und von den drei anderen Dimensionen
abgrenzen: Semantik sei die Sprachdimension der Objektivierung, der Projektion
der sprachlichen Bedeutungen auf die Leinwand des mentalen Gedächtnisses. Nicht
das Zeigen (wie in der Sigmatik, Bd. 1), sondern das Wörterbuch steht typisch
für diese Dimension. Doch bildet sich das Lexikon aus der Freiheit der
individuellen wie kollektiven Subjektivität und ihrer "Kategorien"
(als Reflexionsbestimmungen) heraus. Und diese der Semantik eigentümliche
Subjekt-Objekt-Dialektik reicht noch tiefer: Dass allein diese Subjektivität
der Kategorien die Wirklichkeit sprachlich erschließen kann, bildet die
reflexionstheoretische Pointe. Den uns im Prinzip durchaus bekannten Wortarten
und der gesamten Gliederung des Wortschatzes liegt für Heinrichs eine
universale Logik zugrunde, ganz unbeschadet der großen, erst auf diesem
Hintergrund richtig interessanten muttersprachlichen Unterschiede. Es wird
schließlich im vorliegenden Buch gezeigt, dass die Systematik der
zusammengesetzten Prädikation, besonders der Konjunktionalsätze, der
"modernen" Junktorenlogik nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen
ist.
Das Problem bei der Computerlinguistik stellen selbstverständlich nicht die
Rechner dar. Diese könnten im Gegenteil unsere großen Helfer bei all den
erforderlichen Differenzierungen und ihrer Kombinatorik werden. Das Problem
liegt für den Autoren allein bei der gedanklich korrekten Programmierung, die
der tatsächlichen, gelebten Logik der Sprache angemessenen sein muss! Solange
aber der einseitig technologische und mathematisierende Pfad unter
Vernachlässigung dieser vollzogenen Reflexionslogik beschritten wird, befinde
man sich auf einem Irrweg.
Prof. Dr. Roland Duhamel, Vorsitzender des belgischen Germanistenverbandes und
Vorstandsmitglied des Vereins Deutsche Sprache meinte zum Buch: "Hier ist
das Sprachdenken der Zukunft im Entstehen begriffen. Was Leibniz und Herder noch
als fernes Ziel vorschwebte, liegt demnächst vor: die vollständige
Ausformulierung der allen Sprachen zugrundeliegenden Strukturen. Wo die
bisherigen Semiotiken zurückgeschreckt sind, vor dem komplexeren Zeichensystem
der Sprache, nimmt Johannes Heinrichs den Faden auf."
Fazit
Wer also die Tiefendiemension der Semantik als Spezifikum der menschlichen
Sprache kennenlernen möchte, sollte dringend zum vorliegenden Werk greifen und
zugleich die Folgewerke dieser Serie im Blick behalten.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 25. Oktober 2008 2008-10-25 14:54:52