Julius Bahnsen wurde 1830 in Tondern geboren und war als Philosoph besonders von
Arthur Schopenhauer beeinflußt. Das vorliegende Buch will die logischen
Elemente Hegelscher Dialektik nur im Bereich des Abstrakten anerkennen,
wohingegen Schopenhauers Wille als Grundprinzip der Welt akzeptiert wird.
Interessant ist, daß Bahnsen sich hiermit nicht abschließend von Hegel löst
und damit einen Spagat versucht, den viele sofort zu leugnen versuchen würden:
Er vermittelt zwischen Hegel und Schopenhauer. Dergleichen lesen wir erst
später wieder in Ernst Jüngers Pariser Tagebüchern, als dort von der
treibenden Kraft des objektiven Willens die Rede ist und ebenso Wille und
objektiver Geist verknüpft werden. Kann nicht auch der Wille eine objektive
treibende Kraft sein?
Der Hegelschen Dialektik stellt Bahnsen nun eine "Realdialektik"
gegenüber, eine pessimistische Metaphysik, nach welcher das Ding an sich, der
Wille gegen sich selbst im Gegensatz steht. Der Wille ist nicht ein Wesen,
sondern in eine Vielheit von Individuen ("Henaden") zerspalten, die
zueinander in Gegensatz treten. Der Wille ist überall
"selbstentzweit", das Seiende die "Vereinigung des Wollens mit
einem widersprechenden Nichtwollen". So ist das Seiende
"antilogisch", die Zwecke des Willens sind, als einander
widersprechend, unrealisierbar. Im Tragischen allein erkennt der Wille seine
eigene Zerrissenheit. Im Schönen versucht er sich darüber hinwegzutäuschen.
Das Denken kann das Sein nicht bewältigen, weil im Sein selbst ein Widerspruch
steckt, eine "Realdialektik". Die "Weltnegativität" ist
unaufhebbar, das Logische führt sich selbst ad absurdum. Die Realdialektik ist
das Resultat des in verschiedenen Richtungen auseinanderstrebenden,
selbstentzweiten Willens.
Neben Bahnsens Beiträgen zur Charakterologie (1867) ist das vorliegende Buch
Zeugnis eines der wichtigsten Anhänger und Fortbildner Arthur Schopenhauers.
Bahnsen absolvierte in Kiel das Studium der Philosophie und Philologie. Sein
Berufsleben führte ihn an das Gymnasium zu Anklam und später an das
Progymnasium zu Lauenburg in Pommern, wo er - täglich arbeitend und dennoch
unzufrieden und sich doch gern der Philosophie ganz widmen wollend - die
Realdialektik des Lebens am eigenen Leibe erfuhr. Sein hier in rotem Einband
vorliegendes Buch zeichnet sich durch eine barocke, oft mit schneidigem Humor
gewürzte Sprache aus, die bestens dazu verwendet wird, die Permanenz des
Widerspruchs als Grundwesen der Welt zu verdeutlichen. Die Ausgabe des Buches
knüpft vorbildlich dort an, wo kurz nach 1933 eine aussichtsreiche Neuausgabe
der Werke Bahnsens durch Anselm Ruest (1931) erfolgte, aber jäh durch Ruests
Flucht abgebrochen werden mußte.
Der verschollene Philosoph und Dichter Hieronymus Lorm schrieb noch in seinem
Werk "Der grundlose Optimismus" (1894): "Sehnsucht ist unter
allen Umständen ein Gefühl der Schranke, aber es schließt notwendig den
Begriff der Unbeschränktheit mit ein. Das Reich des grundlosen Optimismus ist
nicht von dieser Welt, die durch und durch Schranke ist, aber daß er trotzdem
in ihr vorhanden, dies allein macht sie zur bloßen Grenze eines bessern, wenn
auch nur empfundenen Reiches." Lorm hatte Hoffnung, hatte Optimismus und
Pessimismus als sich notwendig bedingend erkannt, um nicht am Leben selbst zu
zerbrechen. Bahnsen in seinem hier vorliegenden Buch hätte eine solche
Dimension sicherlich nötig gehabt und war ihr nicht abgeneigt, denn er
schreibt: "Nur eines von beiden thun können, wo man Beides will, das ist
das unerbittliche Gesetz der Wirklichkeit, das allen tragischen Monologen ihren
Inhalt gibt." - Leiden und doch leben! Tragik und unerbittliche
Wirklichkeit als Essenz des Lebens. Diese vereinen zu können, ist das Gesetz
zum Überleben - wenn man Bahnsen folgt.
Fazit
Im Leiden eben nicht aufgeben und sich dem Bereich des Überschönen und
Verlockenden auch nicht vollends preisgeben! Doch wer unter den Leidenden kennt
Bahnsen?
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 25. Oktober 2008 2008-10-25 12:27:23