Wenn ein neues Buch von Johannes Fried erscheint, darf sowohl der Fachmann als
auch der Laie gespannt sein. Der an der Universität Frankfurt am Main lehrende
Fried gilt als einer der angesehensten Mediävisten Deutschlands. Sein "Weg
in die Geschichte" (1994), eine umfassende und gleichzeitig hervorragend
lesbare Geschichte der Anfänge Deutschlands, wurde völlig zu Recht mehrfach
ausgezeichnet, während er in "Der Schleier der Erinnerung" (2004)
einen höchst interessanten Forschungsansatz vertrat. Frieds neuestes Buch
schließt eine nicht unempfindliche Lücke auf dem Buchmarkt. Allgemeine
Einführungen in die Geschichte des Mittelalters sind keine Mangelware, doch
gibt es nur relativ wenige Synthesen, die das Mittelalter in seiner ganzen
Breite wenigstens ansatzweise darstellen.
Wenngleich auch Frieds Monographie keine erschöpfende Darstellung des
Mittelalters darstellt, was auch nicht die Absicht des Autors war, so bietet es
doch einen sehr gut lesbaren und gleichzeitigen sachkundigen Überblick
bezüglich der Zeit von ca. 500 bis 1500. Fried wählt nicht zu Unrecht die
ausgehende Spätantike, die Geburtszeit Europas, als Ausgangspunkt, widmet sich
dann der karolingischen Zeit und der Entfaltung Europas in der folgenden Zeit,
in der es unter anderem zum Machtkampf zwischen Kaisertum und Papsttum kam, bis
zur Geburtsstunde der "Nationalstaaten" England und Frankreich und dem
Beginn der europäischen überseeischen Expansion. Vor dem Leser wird ein
Panorama der mittelalterlichen Welt ausgebreitet, was besonders vor dem
Hintergrund des beschränkten Platzes Hochachtung verdient. Brüche und
Kontinuitätslinien werden immer wieder von Fried nachvollziehbar
herausgearbeitet.
Es ist darüber hinaus beeindruckend, wie sicher Fried die gewaltige Stoffmenge
bewältigt und bei aller notgedrungenen Knappheit doch die grundlegenden
Entwicklungen sicher nachzeichnet und gleichzeitig mehrfach Stellung bezieht,
wie beispielsweise bei der eher negativen Bewertung der Politik der
Stauferkönige. Philosophie, gesellschaftliche Entwicklungen und
Rechtsgeschichte kommen ebenso zur Sprache wie die politischen Entwicklungen,
was keineswegs selbstverständlich ist. Denn Frieds Fokus ist nicht allein auf
das Heilige Römische Reich gerichtet, vielmehr schwenkt er den Scheinwerfer
ebenso auf England und Frankreich, auf den Norden wie auf das Papsttum. Schade
ist nur, dass Byzanz eher am Rande Erwähnung findet, doch mag dies sowohl den
Beschränkungen des Platzes wie auch der Tatsache geschuldet sein, dass
Mediävisten diesen Bereich oft eher den Byzantinisten überlassen.
Offenbar war ein Hauptanliegen Frieds, mit mehreren Vorurteilen aufzuräumen.
Fried verschweigt nicht mach düstere Episode, doch vom "dunklen
Mittelalter", einem im Film und populären Darstellungen noch heute gerne
gepflegten Allgemeinplatz, wird man wenig wiederfinden. Beachtenswert sind die
zahlreichen Partien, in denen Fried auf die teils bis heute wirkungsmächtigen
Entwicklungen im Mittelalter hinweist und die originären Leistungen dieser Zeit
betont, ohne Kreuzzug oder Machtkämpfe zu verschweigen. Die geistige und
kulturelle Einheit Europas, die heute oft beschworen wird, das ist Frieds Fazit,
hat seinen Ursprung nicht zuletzt im Mittelalter, einer durchaus schöpferischen
Epoche.
Fazit
Frieds Darstellung ist ungemein lesbar und dennoch von großer inhaltlicher
Tiefe. Der Stilist Fried weiß dabei den Leser immer mitzunehmen und komplexe
Vorgänge plastisch verständlich zu machen, was keineswegs selbstverständlich
ist, bedenkt man auch die Vielzahl von Forschungsproblemen, die viele der
angesprochenen Themenkomplexe beinhalten (für diese sei etwa auf die
einschlägigen Bände der Reihe "Oldenbourg Grundriss der Geschichte"
verwiesen).
Jedem am Mittelalter Interessierten sei dieses Buch nachdrücklich empfohlen.
Gerade (aber nicht nur) der Nicht-Fachmann wird sicherlich reichen Gewinn aus
der Lektüre dieses Werkes ziehen, das einen hervorragenden Einstieg in die
Epoche bietet, wenngleich Leser mit bereits vorhandenen Grundwissen den
Ausführungen vielleicht mehr abgewinnen werden als vollkommene Laien. Positiv
hervorzuheben sind auch die zahlreichen Abbildungen. Die knappe, aber aktuelle
Bibliographie bietet einen guten Ansatzpunkt für die Eigenrecherche.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
[Profil]
veröffentlicht am 15. Oktober 2008 2008-10-15 11:31:48