David Carter wusste als Kind schon ganz genau, dass er einmal ein eigenes Museum
haben wollte. Bei einem Jungen, der Fundstücke aller Art in Kartons und
Schachteln unter seinem Bett hortet, wundert das niemanden. Als John längst
erwachsen und tatsächlich auf dem Weg ist, sich seinen Traum von der Arbeit im
Museum zu erfüllen, erfährt er durch Zufall, dass seine Eltern nicht seine
leiblichen Eltern sind. Tante Julia, die das Familiengeheimnis verraten hat, ist
zu diesem Zeitpunkt schon so betagt, dass von ihr keine weiteren Informationen
zu erwarten sind. Die wenigen Worte, mit denen Tante Julia und Davids Mutter
Dorothy die Geschichte des Babys David beschreiben, wendet er immer wieder hin
und her und kann doch nicht mehr über seine Herkunft erfahren. All seine
sorgsam gehüteten Erinnerungsstücke, Fotos, Briefe und Fahrkarten können
David keine Auskunft über seine Herkunft und das Schicksal seiner Mutter geben.
Davids besessene Suche nach einer jungen Irin namens Mary, die unter
deprimierenden Umständen 1945 ein Kind zur Welt brachte, bringt schließlich
die Ehe mit seiner Frau Eleanor und seine berufliche Karriere in Gefahr.
John McGregor gibt jedem Kapitel als Überschrift die Bezeichnung eines
Artefakts (Modell eines Fischerboots, 1905), das aus einer Museumsvitrine
stammen könnte. Episoden und Erinnerungen verknüpft er zum kunstvollen Netz
der Familiengeschichte Davids und Eleanors. Die Episoden reichen bis zum Ersten
Weltkrieg zurück; der Bezug zwischen Artefakt, Davids Erinnerungen und dem
Roman-Text lässt sich oft erst auf den zweiten Blick entschlüsseln.
Allmählich erkennt der Leser, dass es in diesem Roman nicht nur um David geht,
dessen Seite des Familienstammbaums unausgefüllt bleiben wird. Davids
Schicksal ist mit teils verdrängten Erinnerungen an die unglückliche Kindheit
seiner Frau Eleanor verknüpft, für die er sich bisher auffällig wenig
interessiert hat.
Fazit
Jon McGregor erzählt feinfühlig und zurückhaltend, zu welch traumatischen
Folgen es führen kann, wenn einem Kind die Geschichte seiner Herkunft
verheimlicht wird. McGregor setzt sein Kaleidoskop der Erinnerungen so geschickt
zusammen, dass man die geschilderten Ereignisse für authentisch halten könnte
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 15. September 2008 2008-09-15 09:11:12