Der junge Mann aus Frankfurt hat ein Oberhemden-Problem. Seine Wäscherei
liefert die gebügelten Hemden auf Bügeln hängend - und nicht zusammengelegt,
wie er es viel angenehmer fände. Statt dieses Problemchen aus der Welt zu
schaffen, verliebt der Ich-Erzähler sich in Jasmin, "die kleine
Türkin" aus der Wäscherei. Jasmins Onkel Hüssein, dem die Wäscherei
gehört, hat eigene Pläne mit seiner Nichte und schickt sie zur Familie in die
Türkei. Unser promovierter Kunsthistoriker sitzt im Prinzip auf gepackten
Kisten, um eine Stelle im New Yorker Antiquariat Hirsch anzutreten. Seine
Gedanken sind jedoch beherrscht davon, dass Jasmin unglücklich sein wird und
nur er ihr Zuflucht bieten kann. Kurz entschlossen lässt er sein Ticket nach
New York verfallen und bucht einen Flug in die Türkei, ohne genaue
Vorstellungen davon, wie er Jasmin seine Liebe gestehen soll.
In der Türkei angekommen, profitiert der schnell entschlossene Reisende davon,
dass im Heimatort Jasmins, der ehemaligen griechischen Stadt Sidyma am Rand des
Taurus, schon immer Archäologen tätig waren. Die Familie, bei der ein Zimmer
mietet, lässt er in dem Glauben, er sei nur wegen ein paar alter Steine in der
Gegend von Girmeler. Jasmin wird von ihrer Familie Pupuseh genannt, für den
Ich-Erzähler von nun an Pumphöschen. Aus der berufstätigen Großstädterin
wird in den Augen des Besuchers ein kindlich-unselbstständiges Wesen, ein
angebetetes Kunstwerk. Die Pumphosen, die in der Region getragen werden,
verstellen dem jungen Mann auf Freiersfüssen völlig den Blick für die
Realität. Für die schönen Dinge hat unser Einserabiturient unbestritten einen
Blick. Seine elitäre Sprache und seine Herablassung gegenüber der restlichen
Welt lassen streckenweise zweifeln, ob wir es tatsächlich mit einem jungen Mann
und nicht mit einem leicht starrsinnigen, pensionierten Kunsthistoriker zu tun
haben. Er kann zwar die Landschaft würdigen und bekommt auch mit, dass einige
junge Männer im Dorf eine groß angelegte Forellenzucht planen, doch seine
Gedanken drehen sich zwanghaft um die Körperteile, die sich unter Pumphosen
verbergen. Nie kommt der liebevoll umsorgte zahlende Gast auf die Idee, sich
seine Zukunft als Schwiegersohn in einer Großfamilie der Schafzüchter,
Forellenzüchter und Tomatenbauern konkreter auszumalen. Palm, ein deutscher
Archäologe, der in Girmeler arbeitet, weist den Besucher zwar auf die Sitten
der Gegend hin, scheitert jedoch daran, den Verliebten auf den Boden der
Wirklichkeit zurückzuholen. Der erlebt Familien- und Dorfleben aus erster Hand
mit, doch er kann nicht wahrnehmen, was er sieht.
Ein geschickt inszenierter Schluss versöhnt den Leser, dessen Geduld der
Büchner-Preisträger mit seinem staubtrockenen Sonderling bis hierhin auf eine
harte Probe gestellt hat. Der Titel "Die Türkin" mag die falsche
Leser-Erwartungen wecken, dass im Mittelpunkt von Mosebachs Roman die
Persönlichkeit einer Frau steht. Jasmin bleibt bis zum fulminanten Schluss
leider nur Projektionsfläche für die Türkei-Klischees ihres Verehrers aus
Frankfurt.
Fazit
Martin Mosebach schildert auf hohem literarischen Niveau und deutlich ironisch
überzeichnet die aussichtslose Liebe eines schwer erträglichen, weltfremden
Schreibtisch-Menschen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 23. Juli 2008 2008-07-23 09:38:21