Als Maos Rotgardisten in den 60ern in China Lehrer und alles "Alte"
kritisierten und verfolgten, hielt sich im fernen Deutschland der junge
Christian Schmidt für einen überzeugten Maoisten; denn Lehrer kritisieren
hörte sich doch gut an. Inzwischen ist Schmidt mit einer Chinesin verheiratet
und lebt in Peking. Gerade weil er etwas Chinesisch spricht, hatte den
Jourmalisten das Leben in Pekings Ausländer-Gemeinde zunehmend genervt. Schmidt
will endlich allein das China ohne Ausländer kennen und klären, ob er
inzwischen vielleicht selbst zum Chinesen geworden war. Er macht sich von
Shanghai aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg entlang der
Nationalstrasse 318, genannt Feng Gu, der Windknochen. Nebenbei will Schmidt der
Frage nachgehen, warum Chinesen auf ihn stetst so gelassen wirken. Ein mutiger
Entschluss für jemanden, der sich bisher immer auf die Übersetzungs- und
Organisationstalente seiner Frau verlassen konnte. Chabuduo, passt schon
irgendwie, unter diesem Motto reist der Autor Richtung Westen und erreicht
schließlich nach über 5000 Kilometern Kathmandu.
Wer Chinesisch versteht, aber nicht lesen kann, muss sich auf die tatkräftige
Hilfe Einheimischer verlassen, um die Bus-Bahnhöfe chinesischer Großstädte zu
finden, um zu erfahren, ob überhaupt ein Bus in die gewünschte Richtung fährt
- und auf welchen verschlungenen Wegen die Tickets erhältlich sind. Wer schon
selbst erfahren hat, dass man in China besser niemanden nach dem Weg fragen
sollte, kann sich vorstellen, dass Schmidt seine Ziele nicht immer auf dem
direkten Weg erreichte. Der Autor besucht Jiu Hua Shan, einen der vier heiligen
Berge Chinas, sieht den Jangtse wie ein Meer vor sich liegen und erreicht
schließlich Anqing, den Schauplatz der Tai-Ping-Rebellion. In Anqing lernt
Schmidt das Prinzip Taxifahrer: Auch wenn nach Meinung des fremden Besuchers mit
Hilfe eines chinesischen Stadtplans zweifelsfrei geklärt ist, wohin der Kunde
möchte, haben chinesische Taxifahrer oft sehr eigenwillige Vorstellungen davon,
was in ihrer Stadt sehenswert ist. A propos Stadtplan: eine chinesische
Kleinstadt kann einige Millionen Einwohner haben und die Stadt Wuhan bringt
locker 10 Millionen Einwohner zusammen. Als allein reisender Mann ist Schmidt
willkommenes Objekt chinesischer Neugierde, Opfer von Schleppern und Abzockern
und muss beurteilen lernen, ob Massage-Salons tatsächlich für Massage-Salons
zu halten sind oder nicht.
Die Region des Drei-Schluchten-Staudamms verlässt der Autor desillusioniert an
Bord eines Fährschiffes, um seinen Traum vom Besuch Tibets zu verwirklichen.
Obwohl sich für ihn als Inhaber eines chinesischen Führerscheins im Laufe der
Reise manche Türen leichter öffnen als für andere Ausländer, muss Schmidt
für Tibet den Dienstweg einhalten. Tibet nur mit Führer, Chauffeur und Permit,
alles zum Preis des Jahreslohns eines chinesischen Bauern. Trotzdem bleibt bis
zum letzten Moment unklar, ob Chin Ke Li Se (Schmidt Christian) im kritischen
Jahr 2007 überhaut eine Reise-Genehmigung für Tibet erhalten wird. Nach
einigen sehr chinesischen Komplikationen erreicht Schmidt schließlich nicht nur
Tibet, sondern auch Nepal, dem er sich besonders verbunden fühlt, weil hier die
letzten Maoisten etwas zu sagen haben. Nach 90 Tagen quer durch China fühlt
Müller sich in Nepal ganz besonders chinesisch.
Fazit
Christian Schmidt war bis 1996 für die China-Kolumne der Zeitschrift Titanic
als sinophile Spottdrossel tätig und arbeitet inzwischen in Peking als freier
Autor. In gewohnt spöttischem Ton, nüchtern und selbstkritisch berichtet der
Autor über seine Selbstfindung als Einzelreisender in China.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 16. Juli 2008 2008-07-16 10:37:50