Hella Moormann, von Beruf Apothekerin liegt im Krankenhaus. Vor lauter
Langeweile beginnt sie ihrer Bettnachbarin Frau Hirte, einer ältlichen Jungfer,
ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Hella ist der Meinung, dass Frau Hirte ihr
überhaupt nicht richtig zuhört und erzählt in ihren vermeintlichen
nächtlichen Monologen auch Dinge, die besser niemand erfahren sollte. Hella
hält dies für eine Art Therapie, die nichts kostet.
Schon sehr früh lernt sie, dass die elterliche Liebe nur durch Leistung erkauft
werden kann und versucht den Vorstellungen der Eltern in jeder Weise zu
entsprechen. Ihr leistungsorientiertes Verhalten in der Schule macht sie nicht
gerade beliebt bei ihren Mitschülern und sie ist häufiges Ziel ihrer Streiche
und Hänseleien.
Als sie beginnt sich für Männer zu interessieren tut sie es in einer Form, die
ihrem Vater fast das Herz bricht, sie interessiert sich nur für Männer denen
es noch schlechter geht als ihr. Genauso wie sie früher ihren Puppen die Beine
verdreht hat, um sie dann später zu verarzten, sucht sie sich kranke
Männerseelen, um sie zu heilen. Mit der Zeit legt sie sich eine ansehnliche
Sammlung von Junkies, Depressiven, chronisch Kranken, geretteten Selbstmördern
und tätowierten Ex-Knackies zu.
Aber eigentlich träumt sie davon, ein Familie zu gründen, mit Kind und einem
zuverlässigen, seriösen Partner. Hella ist mittlerweile 35 Jahre alt, arbeitet
in einer Apotheke und schreibt an ihrer Doktorarbeit, da lernt sie bei einem
Autokauf Levin kennen, einen Studenten der Zahnmedizin, der trotz seines nicht
einfachen Lebens nicht gleich kriminell geworden ist oder zu saufen und zu fixen
angefangen hat, glaubt Hella! Eine gewisse Unreife und Oberflächlichkeit fällt
ihr zwar auf, aber Lewin ist schließlich 7 Jahre jünger als Hella, da kann man
so was schon einmal in Kauf nehmen.
Der vermeintliche Heiratskandidat entpuppt sich aber immer mehr als kriminelles,
skrupelloses und geldgieriges Schwein. Lewin, der unter chronischem Geldmangel
leidet, macht Hella schließlich zur Mitwisserin an einem Mord an seinem
schwerreichen Großvater. Der Großvater, ein mürrischer alter Mann, kennt aber
den fiesen Charakter seines Enkels. Er vererbt Hella den Löwenanteil seines
Vermögens unter der Bedingung das sie und Lewin heiraten.
Hella geht nach einigen Bedenken und ausgiebigen Schmeicheleien von Lewin auf
die Sache ein. Die Beiden ziehen, nach einer Renovierung, in die Villa des
Großvaters ein, allerdings wohnt da noch Margot, die ehemalige Haushälterin
von Opa Graber. Hella Mohrmann muß nun erfahren daß Margot eine alte
Schulfreundin von Levin ist und ihr Mann Dieter ein Freund von Levin. Dieter ist
damals, nach einem mißlungen Drogendeal praktisch für Lewin in den Knast
gegangen, deshalb ist Lewin Dieter etwas schuldig. Nicht das Lewin irgendwelche
Ehrgefühle hat, aber er hat panische Angst vor dem gewalttätigen und
unberechenbaren Dieter.
Das Ende vom Lied, oder Leid für Hella, ist das am Ende alle vier unter einem
Dach wohnen. Als Hella bemerkt das Lewin und Margot ein Verhältnis haben läßt
sie sich mit Dieter ein, der ihr eigentlich gar nicht so schlimm erscheint wie
von Lewin geschildert.
Hella wird schwanger und ist sich nicht sicher von wem das Kind ist, sie fühlt
sich zwar zuerst zu Dieter hingezogen aber das ändert sich als der cholerische,
gemeingefährliche Charakter von Dieter allzu offenbar wird.
Wer glaubt es gäbe keine Steigerung dieser Story mehr, der kennt Ingrid Noll
nicht, ich verspreche, der geneigte Leser wird nicht enttäuscht werden.
Nur soviel: es kommt immer alles schlimmer als man denkt.
Ich gebe es ja zu, als Vielleser habe ich vielleicht zu hohe Ansprüche an die
Romane die ich lese, oder besser konsumiere, aber meine Empfindungen sind
wenigstens nicht durch ein Literatur orientiertes Studium beeinflußt. Ich bin
Maschinenbauingenieur. Die leise Ironie die hinter jedem Wort steckt spricht
mich sehr an. Ingrid Noll zeichnet, in jedem ihrer Romane, ein ausgezeichnetes
und differenziertes Psychogramm ihrer Protagonisten und konstruiert daraus die
vermeintlich absurdesten Situationen. Gleichzeitig spielt sie aber auch mit
ihren Lesern, man ergreift sehr schnell Partei für die Mörderinnen in ihren
Romanen und findet ihre Handlungen nur recht und billig. Sie versteht es sehr
geschickt alle herkömmlichen Moralvorstellungen auf den Kopf zustellen und
zwingt einem dadurch nachzudenken über den Unterschied zwischen Recht und
Gerechtigkeit.
Wenn wir gerade von, vermeintlich, absurden Situationen sprechen. Ich kenne
viele Geschichten (nur als plakatives Beispiel) von Männern, die ihre Frauen
demütigen, Krankenhaus reif schlagen und nach Strich und Faden betrügen. Die
Frauen wehren sich zwar, mit Polizeiaktionen, Frauenhaus, Freunden, Eltern,
Sozialämtern. Aber am Ende sind sie doch wieder mit diesen Typen zusammen.
Wenn wir solche Geschichten hören erscheinen sie uns absurd, aber nur weil wir
sie objektiv beurteilen, wir sind aber keine Individuen die jederzeit ihre
Objektivität parat haben. Ich schweife ab, ich halte die Apothekerin für ein
realistisches Buch und kann mir vorstellen daß die beschriebenen Szenarien
durchaus real sind.
Ich habe in meinem Leben auch schon die unmöglichsten Sachen erlebt, wenn ich
die aufschreiben würde, dann würde mir jedermann den Vorwurf machen, das gibt
es doch gar nicht, so blöd kann man doch nicht sein, jeder vernünftige Mensch
hätte doch sofort........STOP es ist ein Unterschied ob man in einer Sache
'drinsteckt oder sie nur von außen betrachtet.
Obwohl in ihren Romanen sich oft Frauen durch geschickt arrangierte Morde von
Männern befreien, möchte Ingrid Noll sich nicht als Männerfeindin verstanden
wissen. Sie sagt: "Ich mag Männer, schließlich habe ich selber
einen."
Fazit
In ihren Krimis, die sich bislang nie an dem Muster des klassischen
Kriminalromans orientieren, erzählt Ingrid Noll in einem klaren, nur scheinbar
unkomplizierten Stil Alltagsgeschichten, die den latenten Wahnsinn hinter der
Fassade solider Kleinbürgerlichkeit aufdecken.
Vorgeschlagen von Peter Bahner
[Profil]
veröffentlicht am 02. April 2003 2003-04-02 15:41:57