Der 19-jährige Robert Fischer soll ein College-Jahr in New York verbringen und
dort bei einer Gastfamilie wohnen. Robert scheint ein junger Mann ohne Ziele und
Träume zu sein, der USA-Aufenthalt eher der gelebte Traum seines Vaters. Robert
stammt aus Ost-Berlin, im Jahr der deutschen Wiedervereinigung war er drei Jahre
alt. Ost-Berlin ist überall und so wird Robert vom Alltag der amerikanischen
Metropole stets an Berlin-Weißensee erinnert. Robert hat sich in mühseliger
Konversation per Telefon mit den fest gefügten New-York-Vorstellungen seiner
daheim gebliebenen Familie auseinander zu setzen, er selbst entwickelt
gegenüber seiner Gast-Stadt keine Leidenschaften. Das College gibt Robert nach
wenigen Wochen ohne Wissen seiner Eltern auf. Sein Studentenjob bei einer
Detektei, die im Auftrag von Hausbesitzern deren Mieter überwacht, lässt sich
ebenso gut ganztags ausüben. Robert hat die Video-Aufnahmen der Hauseingänge
auszuwerten, um Mieter zu entlarven, die ihren Mietvertrag als angebliche
Alt-Mieter weiter laufen lassen und ihre Wohnung längst untervermietet haben.
Einer dieser Mieter erweckt Roberts Aufmerksamkeit und Robert folgt ihm mit der
U-Bahn bis nach Hoboken und von dort mit der Fähre nach Fire Island, auf eine
Insel in Sichtweite der Stadt. Hoboken wirkt auf Robert wie Berlin-Hellersdorf.
Der Mann, dem Robert folgte, ist der kräftig berlinernde ostdeutsche
Malermeister Hans. Hans nimmt seinen Landsmann Robert bei sich auf und erzählt,
dass er auf der Insel als Hausmeister-Faktotum tätig ist. In der Person des
ostdeutschen Auswanderers und seinen Erinnerungen in Form von
Zeitungs-Ausschnitten trifft Robert wieder auf das Ostdeutsche mitten im
amerikanischen Alltag.
Die kleine Insel, die im Winter nicht mehr als 25 Einwohner hat, wird von einer
Eigentümer-Gemeinschaft organisiert, die dort ihre Sommerhäuser unterhält und
gemeinsam Personal für bestimmte Aufgaben beschäftigt. Als Hans sich
kurzfristig zu einer Reise während der Weihnachtsfeiertage entschließt, bleibt
Robert - mit Vorräten und Brennholz für die nächsten Jahrzehnte versorgt -
nahezu allein auf der Insel zurück. Nur Lucy, deren Familie den Dorfladen
betreibt, ist noch da, um ihre schwer kranke Mutter zu pflegen. Robert hat auf
dem Dachboden des Hauses, das Hans betreut, kistenweise Zeitungsausschnitte
über John Lennon gefunden. Robert gräbt sich durch diese Erinnerungen, liest
eine Lennon-Biografie und hängt an Lucys Lippen, als die erzählt, wie einst
John Lennon ein Haus auf der Insel gemietet hatte und zum Zigaretten kaufen in
den Dorfladen kam.
Während Robert sich in den schützenden Kokon der Insel eingesponnen hat, sind
seine Eltern in New York eingetroffen und suchen ihn vergeblich bei seiner
Gastfamilie.
Fazit
Alexander Osang zeigt schlaglichtartig Roberts orientierungslose Beschäftigung
mit den Musik-Idolen seines Vaters (besser schon seines Großvaters, wie Robert
treffend feststellt), ohne das Vater-Sohn-Thema und den Umgang mit Idealen und
Erinnerungen der Eltern-Generation weiter zu vertiefen. Dass Berlin-Hellersdorf
überall ist und dass sogar John-Lennon in Form einer Nickelbrille in Roberts
Leben schon einmal vorkam, mag für einen 19-jährigen Ostdeutschen die Norm
sein. Gesamtdeutschen Lesern könnte sich beim immer wiederkehrenden
Berlin-Hellersdorf der Gedanke aufdrängen, dass über New York schon alles
geschrieben ist, aber noch nicht von jedem Autor. Der Einblick in die
Gruppendynamik der eingeschworenen Insel-Gemeinschaft, die trotz genauester
vertraglicher Regelung nicht frei von sozialen Spannungen ist, liest sich
durchaus reizvoll, doch mangelt es Osangs Roman am schlüssigen Zusammenhang der
Handlungs-Fragmente und der persönlichen Entwicklung seiner Hauptfigur.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 21. Juni 2008 2008-06-21 11:09:54