Das vorliegende Buch des Frankfurter Politikwissenschaftlers Czempiel ist meines
Erachtens sehr wichtig. Nach seinem bahnbrechenden Werk "Kluge Macht"
aus dem Jahre 1999 legt er hier eine Neuauflage seines 1993 erschienenen
Klassikers "Weltpolitik im Umbruch" neu auf. Seine wichtigste These
ist, dass die Politik auf die Veränderungen in den 1990-ger Jahren,
insbesondere den zunehmenden Einfluss der sogenannten
"Gesellschaftswelt" nicht genügend reagiert habe. Das furchtbare
Attentat vom 11. September 2001 in den USA sei vermeidbar gewesen, hätte sich
die Politik auf diese Veränderungen seit 1990 eingestellt. Nun muss man
Czempiel in seiner Gewichtung nicht folgen. Er gehört zur sogenannten
"liberalistischen" Schule in den internationalen Beziehungen, die in
der Beschaffenheit des Herrschaftssystems die eigentliche Ursache von Konflikten
in den Internationalen Beziehungen sieht. Diese Sichtweise ist umstritten - man
lese als Konstrast nur Publikationen von Werner Link, etwa "Die Neuordnung
der Weltpolitik" von 1998, der zeigt, wie wichtig Realpolitik der
Nationalstaaten immer noch ist.
Wichtig und unverzichtbar ist das Buch meines Erachtens aufgrund der
Einschätzung der Politik der amerikanischen Administration unter Bush Junior
(Kapitel 2 und 3). Czempiel beschreibt ausführlich die Politik der USA in den
1990-ger Jahren und knüpft an Beobachtungen seines eigenen Werkes
"Machtprobe" von 1989 an. Seine sicherlich provozierende, aber meines
Erachtens durchaus korrekte These: Mit der Regierung Bush sei eine
Administration an das Ruder gekommen, die von Anfang an jeglichem
Multilateralismus eine Absage erteilt habe (S. 92) und selektive Weltherrschaft
als "Pax americana" anstrebe. Der 11. September habe Bush die
Gelegenheit gegeben, diese Politik zu verwirklichen (S. 106). Diese von Bush
betriebene Politik sei Geopolitik klassischen, nicht jedoch modernen Stils (S.
138). Eine "Pax americana" sei als Folge dieser eingeschlagenen
Politik ausgesprochen wahrscheinlich. Deutlich werde dies am Konzept des
globalen Präventivkrieges (S. 179). Hierzu muss gesagt werden, dass diese Sicht
natürlich sehr einseitig ist, da diese von Bush herausgegebene "Nationale
Sicherheitsdoktrin" zwar präemptive, jedoch keine Präventivkriege erlaubt
(vgl. dazu: Karl-Heinz Kramp: "Von der Prävention zur Präemption? Die
neue amerikanische Sicherheitsstrategie" in: "Internationale
Politik", Dezember 2002, S. 19-24). Die Frage, ob Bush mit dem von der UN
vermutlich nicht legitimierten Irak-Krieg gegen seine eigene Doktrin der
Präemption (Prävention ist nicht erlaubt), verstößt, müsste also genauer
untersucht werden. Tatsache ist meines Erachtens jedoch, dass mit Ausbruch des
Irak-Krieges die von Czempiel in diesem Buch bereits 2002 ausgesprochenen
Befürchtungen höchste Aktualität bekommen haben, wie ein Kritiker Czempiels,
Gregor Schöllgen, ein
Anhänger der realistischen Schule in den Internationalen Beziehungen, in einer
Rezension dieses Werkes in der Wochenzeitung: "Die Zeit" zu recht
festgestellt hat. Wenn aber die Prophezeiungen Czempiels bisher gestimmt haben,
so besteht größter Anlass, seinen Empfehlungen, die insbesondere auf eine
stärkere Beachtung der "Gesellschaftswelt" und auf eine aktivere
Rolle der westeuropäischen Verbündeten drängt, um Alternativen zu der Politik
Bushs anzubieten, befolgt werden sollten.
Fazit
Wie immer man zu Czempiel und seinen Thesen stehen mag: Es handelt sich um ein
wichtiges, wenn auch sicherlich einseitiges Buch, welches meines Erachtens zu
den wichtigsten politischen Neuerscheinungen des Jahres 2002 gehört. Unbedingt
lesen!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 03. April 2003 2003-04-03 15:42:01