Ich halte dieses Buch für hochinteressant. Man mag zu der Hauptthese dieses
Buches, dass ein Krieg der Zivilisationen möglich sei - der Autor bekennt
offen, dass er Huntingtons diesbezüglichen Denkansatz in dessen umstrittenen
Werk: "Kampf der Kulturen" teilt, jedoch optimistischer als Huntington
die Möglichkeit einer Versöhnung der Kulturen beurteilt. Wenn es gelänge,
eine alle Zivilisationen verbindende, universelle Moralität verbindlich
festzuschreiben, so Tibi im Unterschied zu Huntington, könne der Krieg der
Zivilisationen abgewendet werden. In seinen weiteren Publikationen, etwa
"Die fundamentalistische Herausforderung" zeigt Tibi deutlicher als in
dem vorliegenden Werk, dass die eigentliche Herausforderung für ihn nicht der
Islam selbst, sondern die fundamentalistische Richtung im Islam ist.
Bevölkerungswachstum, Verarmung, die mit der Aufklärung einhergehende
Säkularisierung des Staates und eine allgemeine "Sinnkrise"
förderten diese radikale Richtung.
Was tun gegen den "Konflikt der Zivilisationen"? Tibi fordert zum
einen die Demokratisierung der Staaten, da Demokratien keine Kriege
gegeneinander führten - diese als "Demokratischer Frieden" bekannte
These in den Internationalen Beziehungen ist durch Forschungen inzwischen
weitgehend bestätigt worden (vgl. hierzu die wegweisenden Publikationen von
Ernst-Otto Czempiel). Zum
anderen fordert Tibi eine Synthese von Zivilisationsbewusstsein und
Kompromissbereitschaft oder mit anderen Worten: Toleranz. Er fordert "die
Aufgabe der Exklusivität, nicht aber eine Selbstaufgabe im Namen falsch
verstandener multikultureller Toleranz" und plädiert für eine
internationale, das heißt von allen Zivilisationen geteilte Moralität, vor
allem im Bereich der Demokratie und der Menschenrechte. Ein Dialog der Kulturen,
wie sie - etwa nach den Anschlägen vom 11. September - der Berater des
iranischen Präsidenten Chatami, Mohadscherani, gefordert hat, könne - so Tibi
- jedoch nur mit denjenigen geführt werden, die auch dialogbereit seien.
Islamische Fundamentalisten lehnten jedoch den Dialog mit dem Westen kategorisch
ab. Was im Übergang zum 21. Jahrhundert zusammenbreche, so Tibi, sei eine
Weltordnung, die auf der Basis der westlich-europäischen Erorberung der Welt
aufgebaut und von der westlichen Zivilisation geprägt worden sei.
Wie man auch immer zu der These Tibis und Huntingtons stehen mag, so muss man
sich meiner Meinung nach fragen, woher der unbändige Hass kommt, der sich in
Taten entlädt, wie sie am 11. Sepbember 2001 erfolgt sind. Hier kommt man - so
denke ich - nicht um die Feststellung herum, dass Muslime sich als
Benachteiligte und Globalisierungsverlierer in der heutigen Welt fühlen und die
spannungen mit dem Westen - wie Tibi zeigt - als Zivilisationskonflikt
wahrnehmen.
Fazit für mich: es müssen die Ursachen des Terrors (Armut, Hunger,
Verteilungsungerechtigkeiten im Zuge der Globalisierung) bekämpft werden - und
dies nicht nur mit schönen Worten, sondern durch konkret wahrnehmbare Politik,
die die Wurzel des Übels - die weltweite Verteilungsungerechtigkeit - anpackt;
nur dann wird es langfristig gelingen, dass sich die verschiedenen
Zivilisationen mit Toleranz begegnen - dies schließt für mich eine stärkere
Kenntnis dieser Zivilisationen, Religionen und Kulturen ein.
Das Werk von Bassam Tibi trägt zu dieser Erkenntnis und zur vertieften Kenntnis
des Islam durch sein vorliegendes Werk bei. Er vermittelt hier und in seinen
weiteren Publikationen zentrale Botschaften des Islam und erschließt Quellen,
die dem Nicht-Muslim sonst nicht bekannt wären. Inwieweit er selektiven Umgang
mit Quellen betreibt, wie ihm vorgeworfen wurde, kann ich nicht beurteilen. Für
mich klärt dies Werk über Ursachen der gegenwärtigen weltpolitischen
Spannungen auf; und dies ist nach den schrecklichen Geschehnissen in New York
und Washington dringend notwendig - gerade auch, um
"Friedensstrategien" (der Begriff stammt aus dem gleichnamigen Werk
von
Ernst-Otto Czempiel)
im Umgang der Zivilisationen untereinander zu entwickeln.