Wenn der Herausgeber David Grashoff in seinem Vorwort schreibt, Kurzgeschichten
sind toll, so spricht er mir als Kurzgeschichtenfan aus dem tiefsten meiner
Seele. Kurzgeschichten besitzen das gewisse Etwas. Sie erzählen eine ganze
Geschichte, kommen dafür schnell zum Punkt und sind damit eher ein
konzentrierter Roman. Sie verzichten auf ausschmückendes Beiwerk,
charakterisieren die Handlungsträger mit wenigen, dafür um so treffenderen
Bemerkungen. Das solch eine Geschichte Hand und Fuss hat, sich prima lesen
lässt, beweisen gerade in dieser Kurzgeschichtensammlung Romanautoren wie
Christoph Hardebusch und Christoph Marzi, um nur zwei zu nennen. Ein weiterer
Punkt der mir gefällt ist, dass es eine Sammlung mit (fast) rein
deutschsprachigen Autoren, mit nur zwei Autorinnen, eine davon die, geworden
ist. Entgegen der gebräuchlichen Praxis grosser Verlage schaffen es die
kleineren Verlage die deutschen Autorinnen und Autoren zu fördern. Hier sei dem
Atlantis-Verlag, stellvertretend für alle mal ein Dankeschön gesagt.
Markus K. Korb Das neugierige Herz
Die Kurzgeschichte ist eine Ehrung an Edgar Allan Poe und seine Erzählung Das
verräterische Herz, dessen Übersetzung durch J. von der Goltz mir noch die
liebste ist. Bei Markus K. Korb verläuft die Geschichte ein wenig anders,
jedoch nicht minder phantastisch.
Daniel Mayer Samstag
Samstag scheinen für Daniel Mayer nicht sehr erfolgreich verlaufen zu sein.
Warum sonst sollte er seinen Anti-Helden die unerfreulichsten Dinge an einem
Samstag erleben lassen. Meine erste gedankliche Verbindung zwischen einem
kotzenden Helden und dem Namen Jacky-Boy ging hinüber zu dem Billigwhisky Jack
Daniels. Ob das gewollt war, sei einmal ohne Kommentar dahin gestellt. Ich habe
einen anderen Ausgang erwartet. Bin jedoch nicht enttäuscht, dass es anders
kam.
Torsten Sträter Sportsfreund
Sportsfreunde und Freundschaften in einem Fitnesszentrum haben immer etwas
geheimnisvolles an sich. Man findet sie, wenn man sie nicht braucht, und
umgekehrt ist es meist ähnlich. Was will also ein Sportsfreund, der mir nur
positives anbietet, ohne dass ich etwas dafür tun muss? Jedenfalls hat der Held
der Handlung, was er wollte. Seinen zweijährigen Sohn. Allerdings fand ich die
letzten fünf Zeilen eher überflüssig.
Fabian Mauruschat Sendersuchlauf
Ein Lied kann eine Brücke sein, wer kennt das Lied von Joy Fleming nicht? Okay
die Frage war rhetorisch. Manch einem kann Musik aber auch ganz schön auf den
"Senkel" gehen. So geschehen in dieser Kurzgeschichte. Der genervte
Musikfan hat eine tödliche Abneigung gegen eine bestimmte Art von Musik.
Christoph Marzi Die träumende Stadt
Was die Stadt nicht alles kann. Sich erinnern, singen, verlieben und einiges
mehr. Wer den Autoren mit seinen Romanen Malfuria oder Lycidas kennt, wird von
seiner Fähigkeit ein langes Gedicht zu schreiben, sicherlich überrascht.
Marcus Richter Menschenmüll
Wenn man Müll ein eigenes Bewusstsein zugesteht, dann ist Marcus Richter der
richtige Geburtshelfer. In seiner Erzählung treffen wir auf das gewisse
"Etwas", dass sich langsam zu einem Müllmann formt.
André Wiesler Hand drauf!
Hand drauf! ist eine recht zynische Geschichte, weil die meisten Menschen die in
dieser Erzählung hervorgehoben werden, eben keine Hände haben.
David Grasshoff Seelenlos
Die Bezeichnung hin ist hin, oder tot ist tot, trifft nicht unbedingt auf jeden
zu. Das muss der Icherzähler gerade erfahren. Gerade noch erschossen, jetzt
wieder putzmunter, bis auf die Tatsache, ein Selenloser zu sein. Wie ihm Ephraim
Rabe mitteilt. Und dazu noch ein Streiter Gottes. Aber man sollte auch nicht
alles Glauben.
Oliver Plaschka Solets Stimme
Von ihm kannte ich bislang nur den beachtenswerten Roman Fairwater, der bei
Feder und Schwert erschien und sehr beachtenswert ist. Gleiches Attribut,
beachtenswert, kann man auch für die vorliegende Kurzgeschichte benutzen.
Christian Endres Feuerteufel
Ein Hochhausbrand stellt an jede Feuerwehr eine Herausforderung dar. Dies muss
auch George feststellen, als er mitten im Brandherd versucht, das Feuer zu
löschen. Die Begegnung der seltsamen Art mag er aber nach seinem Einsatz nicht
erwähnen.
Tobias Bachmann Hybris
Städte können einem schon Angst einjagen. Je seltsamer die Bewohner, desto
gefährlicher ist die Stadt. Je ängstlicher die Bewohner, desto gewalttätiger.
Was aber, wenn man irgendwie dazwischen steht?
Nina Horvath Zukunftsauge
Rika erschlägt einen Mann mit einem Stein, der eine Mission zu erfüllen hat.
Daher lässt er sich auch nicht von seinem Tod aufhalten, was Rika nur
allzuseltam empfindet. Die drei Gangmitglieder denken ebenso. Und das alles mit
einem Androiden namens Anders.
Christoph Hardebusch Zeitenwechsel
Die Gewalt der Städte und die Abwesenheit eines Gottes machen den Glauben an
die Gerechtigkeit ziemlich schwer. Es gibt sie aber noch, die Nächstenliebe,
die darin gipfelt, anderen aus prekärer Situation zu retten.
Torsten Scheib Gute Ansätze
Nicht immer, wenn man etwas gut meint, geht es auch gut aus. Genau das muss
Tobias erfahren.
Aino Laos Tranquil Gardens
Übersetzung: Christoph Marzi
Androiden als Menschen auszugeben ist nicht nur sträflich, sondern auch
tödlich. Wenn man lebt und liebt, ist dies jedoch menschlich.
Andreas Melhorn Ansichtssache
Die ist die Geschichte von Martin, der seine Mutter und deren Ehemann getötet
hatte (Man beachte die Wortwahl). Martin, der des öfteren auf Karl trifft, doch
nie ein Wort mit ihm wechselt. Und Dr. Bernstein hat ein Geheimnis.
Michael Schmidt Silbermond- Oststadt
Eine weitere Geschichte um Hass, Gewalt und Rache, die liebsten Gefühle in
einer gewalttätigen Stadt. Menschen? die eine durchführen, die man nicht
ungeschehen machen kann.
Fazit
Die vorliegende Sammlung bietet jede Menge Stadtgeschichten, die man mit dem
neudeutsch und völlig falschen Begriff Urban Fantasy bezeichnet. Ich kann
diesen Begriff nicht ausstehen. Die Erzählungen die hier veröffentlicht wurden
haben nichts mit dem Begriff Fantasy, wie er im Allgemeinen gebraucht wird,
nichts zu tun. Wenn ich sie vergleichen wollte, würde ich bei H. P. Lovecraft
und E. A. Poe beginnen. Phantastische Erzählungen, die die Unwirklichkeit in
die Wirklichkeit transportieren und mit den Ängsten der Menschen spielen. Bei
manchen der Autoren gelingt dies besser, bei anderen schlechter. Aber jede
Geschichte die David Grashoff für diesen Band auswählte ist als gelungen zu
betrachten. Es sterben sehr viele Handlungsträger in dieser Stadt, denn alle
Geschichten könnten in einer einzigen Stadt geschehen sein. Mein Ziel war es
jedoch nicht, eine Leichenzählung durchzuführen.
Wer einen Roman zum Thema Stadt der Toten lesen möchte, den verweise ich gern
auf den gleichnamigen Roman von Kevin Brockmeier, erschienen bei Luchterhand,
verweisen.
Vorgeschlagen von erik schreiber
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veröffentlicht am 05. Juni 2008 2008-06-05 10:42:47