Vor einigen Jahren, so schrieb Helmut Schmidt in einem Artikel in der ZEIT
("Schreibt lesbare Geschichtsbücher!", Die ZEIT, 14.4.2004), war der
Ex-Bundeskanzler und bekannte Verfasser politischer Bücher einer Einladung zur
Teilnehme an einer Geschichtsvorlesung an der Universität der Bundeswehr in
Hamburg gefolgt. Als der referierende Geschichtsprofessor auf den berühmten
Historiker Thukydides zu sprechen kam, fragte Schmidt in die Runde, wer diesen
Namen kennen würde. Keiner der etwa 80 anwesenden Offiziere meldete sich. Dann
fragte Schmidt, ob ihnen der Name Perikles etwas sagen würde, was ebenfalls
nicht der Fall war. Man habe in der Schule eben vor allem die Geschichte des
"3. Reiches" gelernt.
Diese Anekdote ist wahrscheinlich recht treffend für das Geschichtsbild nicht
weniger Bundesbürger - obwohl Thukydides noch heute als der wohl größte
Historiker der Antike angesehen wird, der die "objektive
Geschichtsschreibung" begründete (wenngleich er selbst bisweilen recht
selektiv verfuhr und wir seine Auswahlkriterien nicht kennen). Mit Perikles wird
das "Perikleische Zeitalter" verbunden, eine kulturelle Blütezeit
Athens und der athenischen Demokratie. Dieses Bild war lange Zeit Kanon, obwohl
schon im 19. Jahrhundert von Karl Julius Beloch daran gekratzt wurde. In
jüngerer Zeit wurde Perikles wieder wesentlich skeptischer betrachtet. Zwar
wurde noch im erst kürzlich veröffentlichen "Cambridge Companion to the
Age of Pericles" (hrsg. von Loren J. Samons II., Cambridge 2007) vor allem
die kulturhistorische Seite betrachtet, während der angesehene Althistoriker
Donald Kagan Perikles sowohl in seiner Darstellung des Peloponnesischen Krieges
als auch in einer Biographie sehr vorteilhaft darstellte. Von anderen
Historikern (etwa Manfred Clauss oder Wolfgang Will) wird Perikles aber auch als
der Politiker angesehen, der berechnend den großen Krieg (den wir als
"Peloponnesischen Krieg" kennen) zwischen Athen und Sparta in Kauf
nahm, nicht zuletzt um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Biographien über antike oder mittelalterliche Persönlichkeiten zu verfassen
ist meistens ein Wagnis, denn die entsprechenden Quellen sprudeln in der Regel
nur sehr spärlich. Christian Meier hat anlässlich seiner Caesarbiographie den
damit verbundenen Themenkomplex vorzüglich skizziert (Christian Meier,
"Von der Schwierigkeit, ein Leben zu erzählen. Zum Projekt einer
Caesar-Biographie", in: Jürgen Kocka, Thomas Nipperdey (Hgg.), Theorie der
Geschichte, Bd. 3: Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979, S.
229-258). Und zu Caesar ist die Quellenlage weitaus vorteilhafter als zu
Perikles, über den wir zwar beispielsweise eine Biographie des Plutarch
besitzen, der aber mehrere hundert Jahre nach dem Tod des Perikles schrieb. Auch
Thukydides, der Perikles einigen Platz einräumt (wie in der berühmten
Epitaphios, der Gefallenenrede [Thuk. 2, 35-46]), ist aber kaum wirklich
objektiv (siehe Wolfgang Will, "Thukydides und Perikles. Der Historiker und
sein Held", Bonn 2003). Dennoch hat sich Gustav Adolf Lehmann, ein
ausgezeichneter Kenner des klassischen Griechenlands, für eine biographischen
Darstellung entschieden. Dass man am Ende viel über das klassische Athen weiß,
die Persönlichkeit des Perikles aber eher schemenhaft bleibt, ist ihm kaum
anzulasten.
Lehmann hat seine Biographie in zehn Kapitel unterteilt, woran sich Anmerkungen
und Glossar anschließen. Der Bogen spannt sich dabei von der Zeit der
Perserkriege bis zum Tod des Perikles 429 v. Chr. Lehmann geht recht detailliert
auf die Vorgeschichte ein, spricht die Invasion des Xerxes 480 v. Chr., die
erfolgreiche Gegenwehr der Griechen und die Etablierung des attischen Seebunds
an, der sich bald von einem formalen Verteidigungsbündnis zu einem Instrument
athenischer Machtausübung wandelte. Perikles selbst taucht erst im 4. Kapitel
auf, wo seine ersten Schritte in der Politik beschrieben werden. Bemerkenswert
ist die politische Agenda des Perikles, der aus altadliger Familie stammte, sich
aber dennoch der "Partei" der Demokraten anschloss. Dass Perikles
später an der Spitze der Demokraten stand, hat nicht wenig zu seinem Ansehen
bei späteren Historikern beigetragen, namentlich etwa Donald Kagan, vor allem,
da sich dies mit aktuellen politischen Debatten ergänzte (ist Kagan doch in den
USA auch politisch nicht untätig und einer seiner Söhne einer der Vordenker
der Neokonservativen).
Das "klassische", das "perikleische Athen" verführt daher
auch leicht dazu, als ein Topos zu dienen. Lehmann verfällt dem nicht, spricht
aber Perikles teils eine führende Rolle zu, die durch Quellenaussagen nur
schwer zu decken ist, so hinsichtlich des Parthenon-Projekts. Formulierungen wie
"lassen keinen Zweifel" (S. 140), sind bzgl. antiker Zeugnisse recht
stark. Die Darstellung des Perikles ist in der Tendenz bei Lehmann recht
positiv. Das Megarische Psephisma, ein von Athen verhängtes Handelsembargo, dem
in der althistorischen Forschung oft viel Bedeutung hinsichtlich des Ausbruchs
des Peloponnesischen Krieges beigemessen wird, wird von Lehmann vor allem bzgl.
der spartanischen Propaganda erwähnt (S. 217). Dass dies nicht zwingend die
einzige Bewertungsmöglichkeit ist, zeigt schon ein Blick in diverse
Standardwerke, wie etwa in Karl-Wilhelm Welweis "Das klassische Athen"
(Darmstadt 1999, hier S. 147f.); demnach war das Embargo für Megara, einem
wichtigen Verbündeten Spartas, durchaus eine besorgniserregende Entwicklung.
Dass sich die Athener schließlich von Perikles abwandten, als nach Beginn des
Krieges die von ihm forcierte Strategie, sich nicht zur Feldschlacht mit den
Spartanern zu stellen und auf die eigene Seemacht zu vertrauen, wird bei Lehmann
damit kommentiert, dass Perikles, der innenpolitisch schon schwer angeschlagen
war, Nervenstärke zeigte und vor allem verhindern wollte, dass die athenische
Volksversammlung sich nicht zu unklugen Handlungen hinreißen ließ (S. 230).
Man mag dies so interpretieren, doch kann man ebenso vermuten, dass Perikles,
der letztendlich den Krieg mit Sparta in Kauf genommen hatte, nun hartnäckig an
dieser Politik festhielt. Man wird Perikles keinesfalls die Alleinschuld für
den Krieg geben können, ihn aber auch nicht von jeder Mitverantwortung
weitgehend freisprechen können.
Perikles selbst erlebte das Ende des Krieges, der für Athen mit einer
Niederlage endete, ohnehin nicht mit. Er verstarb 429 v. Chr. an den Folgen
einer Seuche, deren genaue Bestimmung der Forschung noch heute Schwierigkeiten
bereitet.
Fazit
Die Darstellung Lehmanns der Entwicklung Athens zu einem "demokratischen
Kulturstaat" (was für ihn maßgeblich eine Leistung des Perikles ist, S.
252) ist durchaus weitgehend überzeugend, wenngleich Lehmann aber doch
bisweilen glaubt, mehr aus den Quellen herauslesen zu können, als dies
wahrscheinlich möglich ist, wenn man etwa die Verlässlichkeit Plutarchs in
Rechnung stellt. Als Person wird Perikles in dem Buch erst relativ spät
greifbar, doch ist dies nicht Lehmanns Schuld, da die Quellenlage erst mit dem
Beginn des Peloponnesischen Krieges breiter wird. Lehmann hat mit seinem Buch
eine sehr gut lesbare und informative Darstellung des klassischen Athens bis zum
Beginn des Peloponnesischen Krieges vorgelegt. Perikles Leben dient dabei als
Leitfaden, seine Politik als Schwerpunkt der Handlung. Eine Biographie in dem
Sinne, dass man Einblick in das "Innenleben" der Person gewinnt, ist
aufgrund der Quellenproblematik nicht zu leisten. Davon abgesehen mag man
bisweilen auch andere Meinungen vertreten (wie dies Wolfgang Will etwa tut).
Erwähnenswert sind die recht umfangreichen Anmerkungen, die die
Weiterbeschäftigung mit dem Thema ermöglichen, wofür aber leider eine
systematische Bibliographie fehlt. Komfortabel ist der Glossar, der zentrale
Termini erklärt. Kurz: Ein empfehlenswertes und lesenswertes Buch.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 02. Juni 2008 2008-06-02 12:39:33