Sehr gespannt war ich auf das neue Reclams Krimilexikon. Der Herausgeber,
Klaus-Peter Walter, editiert auch das seit 1993 erscheinende hervorragende
"Lexikon der Kriminalliteratur" aus dem Corian-Verlag, eine laufend
ergänzt werdende Loseblattausgabe. Ich selber besitze einige
Krimilexikon-Einführungen. Das vorliegende Werk enttäuscht aber sehr. Es
versteht sich bewusst als Fortsetzung zum 1978 erschienenen
Kriminalromanführer, ebenfalls aus dem Reclam-Verlag, der heute vergriffen ist.
Diesem Grundlagenwerk fühlt sich der Autor verpflichtet. Da das Wissen um die
ältere Geschichte der Kriminalliteratur weitgehend Allgemeingut geworden sei,
werde auf eine Darstellung der Vor- und Frühgeschichte verzichtet, so das -
viel zu kurz geratene - Vorwort. Auch die Definition von
"Kriminalliteratur" ist äußerst kurz: "Um der Kriminalliteratur
zugerechnet werden zu koennen, muss im Zentrum eines belletristischen Werkes ein
crimen, ein Verbrechen, stehen. Dabei ist es unerheblich, ob auch eine
Detektion, eine Ermittlung, folgt." Dies ist nun wirklich zu wenig. Ziel
des Lexikons sei, eine Bresche zu schlagen in einen heute kaum noch zu
überblickenden Literaturdschungel. Bei der Auswahl der behandelten Werke gelte
es, die Balance zu wahren zwischen Aktuellem und historisch Bedeutsamen, dem was
exemplarisch für eine bestimmte nationale Kriminalliteratur oder einen Autor
bzw. eine Autorin steht, dem was der Herausgeber für gut und lesenswert hält
und dem, was das Publikum gerne kaufe und lese. Genau dies ist dem Werk meines
Erachtens nicht gelungen. Gerade im Vergleich zum Kriminalromanführer schneidet
das vorliegende Werk sehr schlecht ab. Zwar findet sich am Ende eine
einführende Bibliographie, ein Personen- und ein Literaturverzeichnis.
Allerdings ist das Werk rein nach Autoren aufgebaut. Eine Länder- oder
Gattungsbeschreibung oder eine kurze Darstellung der Geschichte der
Kriminalliteratur - Bezug auf den - vergriffenen - Vorgänger hin oder her -
hätte ich auf jeden Fall erwartet. Die aufgeführten Autoren werden teilweise
kurz portraitiert (z.B.
Anne
Holt), teilweise jedoch überhaupt nicht (
Robert Goddard) etc. Die Auswahl
ist nicht nachzuvollziehen: weder der Klassiker
Anthony Berkeley (auch Anthony
Berkeley Cox) mit seinem "Der Fall mit den Pralinen", noch
Cyril Hare mit "Tragödie im
Gerichtssaal" oder die Werke
Patrick Quentins sind zu finden.
Auch Charles Willeford, Hillary Waugh, Nicholas Blake, Celia Fremlin, Dennis
Lehane oder Steve Hamilton (um nur einige zu nennen) sucht man vergebens. Einen
hervorragenden deutschen Krimi-Autor,
Hans-Werner Kettenbach, habe ich
ebenfalls vermisst. Es gibt sicherlich noch weitere Autoren, die fehlen. Nun
kann natürlich ein Lexikon nie vollständig sein, aber eine solche
"Auswahl" kann mich nicht überzeugen. Fazit: Wer eine gelungene
Einführung in den Kriminalroman sucht, muss entweder auf Klassiker wie Julian
Symons (dessen Grundlagenwerk "Am Anfang war es Mord", weil vor 1970
erschienen, ebenso unerwähnt bleibt wie ein Autoreneintrag dieses bedeutenden
Autors) zurückgreifen oder sollte andere Einführungen vorziehen.
Empfehlenswert sind auch heute noch: "Das Mordsbuch": alles über
Krimis (herausgegeben von
Nina Schindler) von 1997, Ulrike
Leonhardt: "Mord ist ihr Beruf" (1990),
Jochen Schmidts: "Gangster,
Opfer, Detektive" aus dem Jahre 1989, das erwähnte "Lexikon der
Kriminalliteratur" aus dem Corian-Verlag, Ulrich Suerbaums "Krimi:
Eine Analyse der Gattung" aus dem Reclam-Verlag von 1984 oder das
"Lexikon der deutschsprachigen Kriminalautoren" aus dem Jahre 2002.