Max Weber (1864 - 1920) zählt zu den Mitbegründern der deutschen Soziologie
und ist nach wie vor einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.
Seine berühmte Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik
machte ihn bekannt. Erstere kommt dem Parteigänger oder dem Religiösen zu,
zweite dem Pragmatisten und selbst aus eigener Verantwortung handelnden -
jenseits objektivierter Referenzpunkte wie Gott oder Parteiprogramm. Weber
zählt zum Neukantianismus.
Der Subjektivismus Kants hatte in seiner Zeit an Elan verloren. Die Tendenzen
zum Objektivismus entstehen auch durch das Scheitern der Revolution 1848. 1871
erfolgt die Reichsgründung. Die Menschen sind Untertanen. Die Kultur versucht,
ein subjektives Wesen darzustellen: Bürgerphilistertum. Man verstand sich als
Nation, als Machtstaat und Kulturstaat. Darauf geht der Neukantianismus ein. Er
sucht nach guter deutscher Machtpolitik in der Kultur; es entsteht der
Kulturprotestantismus als Verbindung beider Elemente. Von diesen war Weber
geprägt.
Die Welt ist für Weber oft kontraintentional und man strebt nach Dingen, die es
nicht zu realisieren gibt und weswegen es sich im Anspruch zu reduzieren gilt.
Protestantismus steht für weniger Luxus, Arbeit und Beruf. Das sind auch seine
Maximen, d.h. die lutherische Berufsidee. Als Wissenschaftler sah Weber die
Sozialwissenschaft als eine Wirklichkeitswissenschaft, keine Wertwissenschaft.
Ihr Spezifikum ist die Kulturwissenschaft. Der Mensch ist Kulturmensch und nimmt
bewusst zur Welt Stellung und verleiht ihr einen Sinn. So begründet er die
Hermeneutik als Verstehenssoziologie, wonach man nur Dinge, die vom Menschen
gemacht sind, verstehen kann.
Gregor Fitzi nun stellt im vorliegenden Buch Webers bisher nur angedeuteten und
enorm vielfältigen sowie bis heute sehr fruchtbaren Grundthesen vor: die
Methodologie der Sozialwissenschaft, die Theorien der Moderne und des
abendländischen Rationalismus. Die Rationalisierung der Neuzeit liegt bei Weber
in der okzidentalen Rationalität begründet. Der Kapitalismus ist dabei eine
von vielen spezifischen Formen dieser Entwicklung. Das Ausgebeutete wird in
Kapital verwandelt, welches sich akkumuliert. Die Entwicklung basiert auf der
Expropriation des Landvolkes. Faktoren der Religion beeinflussen diese
Entstehung des Kapitalismus.
Es muß für Weber eine religiöse Revolution stattgefunden haben, damit der
Traditionalismus (d.h. Verachtung des Geldes zugunsten einer Einstellung des
puren Lebens) überwunden werden konnte. Die Ursache liegt im Ethos des
kalvinistischen Protestantismus. Es gibt nicht nur materielle sondern auch
ideelle Interessen. D.h. die Frage des Heils nach dem Tode und nicht nur die
diesseitige Akkumulation des Geldes spielen eine Rolle. Und diese Frage hat Marx
nach Meinung Webers missachtet - Religion war nicht Opium sondern Vitamin fürs
Volk. Hierfür ist das Kapitel über die protestantische Ethik im Buche Fitzis
lesenswert. (93) Aber auch Webers Studien zur Wirtschaftsgeschichte sind sehr
bedeutsam. Darüber hinaus zeigt er Max Weber als Mann der Politik und der
Öffentlichkeit und behandelt die Rezeption seiner Arbeiten in den
Sozialwissenschaften. Damit bietet das Buch eine grandiose Abhandlung der
komplexen Wissenschaft, die Weber betrieb. Viele aktuelle Auseinandersetzungen
mit Weber belegen die bis heute ungebrochene Ausstrahlung seines Werks. Folgende
Aspekte sind entsprechend in der Lektüre sehr zu empfehlen: Weber als Experte
und Politikberater (22), seine methodologische Begründung der Soziologie (37)
oder seine Begriffssystematik (60).
Die politische Soziologie Webers wird im fünften Kapitel (128) abgehandelt. Der
Staat wird nur durch das ihn erhaltende Mittel gedacht: das legitime
Gewaltmonopol. Fitzi stellt hier zu Recht den für Weber zentralen Aspekt
heraus: die Aura des Genies. Staatsfunktionen und damit diejenigen des
politischen Genius sind: Setzung von Recht, Ordnung und Pflege der Kultur,
Haltung des Gewaltmonopols. Politik läuft innerhalb des Staatsrahmens ab; es
ist die Leistung des Staates bei der Beeinflussung der Machtverteilungen im
Staat über Kampf und Gewalt. Herrschaft bedeutet, Gehorsam zu finden. Der Staat
muß im Subjekt verankert werden, und er hat so eine innere Legitimität und
innere Rechtfertigung. Demokratie herrscht für Weber überall als Bürokratie
mit dem Ziel der Parlamentarisierung. Der charismatische Führer ist von Weber
erwünscht, muß aber die Masse gewinnen. So begründet Weber die plebiszitäre
Führerdemokratie, bei der der Führer im Zentrum steht, der den bürokratischen
Apparat ausnutzt und Freiräume für die Individuen schafft. Die falsche
alternative wäre die führerlose Demokratie.
Fazit
Das vorliegende Buch begeistert vor allem durch seine Übersichtlichkeit
hinsichtlich der vielen Kontexte in Webers Werk, denen sich der Verfasser
durchaus gewachsen zeigt. Der Leser kann davon profitieren. Er lernt einen
großen deutschen Wissenschaftler kennen, der noch eine eigene Wissenschaft
erzeugte und sich nicht lediglich mit der Wissenschaft anderer befasste.
Gleichwohl merkt man auch die Tragik an Webers Wesen: die Sehnsucht nach
Versöhnung innerhalb einer rationalisierten Welt, die entzaubert ist und in der
Weber nur noch die Lösung darin sah, dass das Gewissen zählt: "sola
fide" - und keine wertzentristische Ideologie, Religion, Glaubenswelt oder
Heilslehre.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 26. April 2008 2008-04-26 14:28:36