Jonathan, genannt Johnny, und sein Dackel sind aus einem Pfadfinderlager
verschwunden. Der zuständige Ermittler Manni Korzilius steht aus verschiedenen
Gründen unter Druck. Sein Vater, zu dem Manni ein kompliziertes Verhältnis
hat, liegt im Sterben. Mannis berufliche Perspektive ist ungeklärt, seit er im
Anschluss an die Ereignisse in
Der Wald ist Schweigen in eine
andere Abteilung versetzt wurde.
Korzilius Kollegin Judith Krieger ließ sich damals völlig ausgebrannt für
einige Monate beurlauben. Inzwischen ist Judith privat in Kanada unterwegs, um
nach ihrer vermissten Jugendfreundin Charlotte zu suchen. Judith findet heraus,
dass Charlotte sich von einem Buschflieger an einem einsamen See fliegen ließ,
um dort Eistaucher zu beobachten, und seitdem nicht wieder gesehen wurde. Obwohl
Judith bei ihren halboffiziellen Nachforschungen tatkräftige Hilfe durch die
Polizistin Margery erhält, läuft ihr die Zeit davon; denn Judiths Rückflug
ist fest gebucht. Am Tag nach ihrer Rückkehr aus Kanada soll sie an ihren alten
Arbeitsplatz bei der Kripo zurückkehren.
Korzilius befragt derweil Zeugen im Fall Johnny. Johnnys Pflegevater scheint
etwas zu verbergen zu haben; die Pflegemutter wird von düsteren Ahnungen
geplagt. Johnnys Freund Tim, ein wichtiger Zeuge, reagiert außergewöhnlich
ängstlich auf die Befragung. Und dann ist da noch die alte Elisabeth Vogt, die
sehr spezielle Vorstellungen davon hat, welche Informationen sie der Polizei
geben will und welche nicht. Weitere Zeugen geben mit ihrer sehr eigenen Logik
nur scheibchenweise Preis, was sie über Johnny wissen. Als auch Tim
verschwindet, wird es höchste Zeit, hinter die geordneten Fassaden zu sehen.
Manni erinnert sich selbst nur zu gut daran, dass Eltern nicht immer alles über
ihre Kinder wissen und stellt die richtigen Fragen.
Gisa Klönne führt die beiden Handlungsstränge, die in Deutschland und Kanada
spielen, erst zum Ende ihres sozialkritischen Kriminalromans zusammen. Sie
schildert die Suche nach einem verschwundenen Schüler und Nachforschungen über
eine Wissenschaftlerin, die in Deutschland alle Brücken hinter sich abgebrochen
hat. Ob es der gestresste Manni ist, Judith Kriegers Beziehung zu ihrer Freundin
Charlotte, die alte Elisabeth Vogt, die beteiligten Jugendlichen oder ihre
Eltern - die Autorin lässt jede dieser Personen lebendig vor dem Auge des
Lesers entstehen. Schon die jeweils ersten Sätze der Auftrittszenen vermitteln
meisterhaft Lebenssituation und Empfindungen der Beteiligten. Die Perspektiven
aller Protagonisten sind ausgesprochen spannend miteinander verknüpft, die
Entwicklung der Personen fesselt noch stärker als die Aufklärung der beiden
Fälle. Charlottes Vogel-Beobachtungen in Kanada, die Mobbing-Vorfälle an
Jonathans Schule - jedes Detail wirkt genauestens recherchiert und glaubwürdig
erzählt. Im Fall des verschwundenen Jonathan beschreibt die Autorin den
alltäglichen, familiären Schauplatz der Ermittlungen beklemmend realistisch.
Auch in Szenen, in denen es um große Gefühle geht, bleibt Klönnes Sprache
erfreulich sachlich mit einigen ironischen Untertönen.