Sebastian Haffners brilliante Analyse "Der Teufelspakt": 50 Jahre
deutsch-russische Beziehungen" ist zuerst im Rowohlt-Verlag 1968
erschienen. Das Buch ist deshalb so interessant, weil es die Zusammenarbeit
zwischen dem deutschen Kaiserreich und Lenin erstmals detailliert aufgezeichnet
hat. Dieses Thema ist mittlerweile wieder aktuell geworden.
Gerd Koenen hat in seinem
preisgekrönten Werk "Der Rußland-Komplex" im Jahre 2005 Haffners
Erkenntnisse wiederholt und erst im vergangenen Jahr hat der "Spiegel"
ein Heft mit dem Titel: "Die gekaufte Revolution: Wie Kaiser Wilhelm II.
Lenins Oktoberrevolution mitfinanzierte" geschrieben. Das Kapitel findet
sich heute - verfasst von
Klaus Wiegrefe auch im
Spiegel-Spezial-Heft Geschichte: "Experiment Kommuinismus" (eine
hervorragende Zusammenfassung der Geschichte des kommunistischen Rußlands
zwischen 1917 und 1991) unter Kapitel 1: "Die Deutschen und die
Revolution." Wiegrefe stützt sich hier auf die gleichen Quellen - und
natürlich noch neuere - auf die sich schon Sebastian Haffner stützen konnte.
Und hier zeigt sich die Brillianz Haffners: letztlich erfährt man aus Wiegrefes
Artikel nicht wesentlich "Neues", wenn man Haffners Analyse von 1968
schon gelesen hat - und dies spricht für Haffner.
Der Manesse-Verlag hat sich allerdings entschieden, Haffners ursprüngliches
Werk massiv zu kürzen. Die Manesse-Ausgabe enthält ungekürzt lediglich die
Kapitel 1 bis 6 (Deutschland und die russische Revolution, Brest-Litowsk, Der
Strick und der Gehängte, Rußland und die deutsche Revolution, Rapallo, Die
Reichswehr und die Rote Armee). Das Kapitel 7: "Hitler und Stalin"
findet sich im Manesse-Verlag stark gekürzt, in der Original-Ausgabe ist das
Kapitel in 2 Teile geteilt: "Hitler und Stalin", "Pakt und
Krieg". Die Motive Stalins zu den Massen"säuberungen" und
-vernichtungen nach 1934, die Haffner in Zusammenhang mit dem geplanten
"Schwenk" der Stalinschen Außenpolitik gegen den Westen und zugunsten
Hitlers interpretiert, findet sich in der Manesse-Ausgabe ebenso wenig wieder
wie die Beschreibung der Affaire Tuchatschewski, der 1937 von Stalin - aufgrund
ihm zugespielter Falsch-Informationen durch Heydrich - mitsamt der Spitze der
Roten Armee ermordet wurde. Auch das erschütternde Kapitel 9: "Die
Deutschen in Rußland", in welchem der Vernichtungskrieg der Deutschen
gegen die russische Bevölkerung, aber auch die Funktion der russischen
Wlassow-Bewegung, einem - im nachhinein gescheiterten - Versuch russischer
Generäle, ein Bündnis zwischen Deutschland und russischen antistalinistischen
und antikommunistischen Offizieren zustande zu bringen - fehlt in der Ausgabe
des Manesse-Verlages. Dies bleibt mir unverständlich und daher gebe ich einen
Punkt Abzug.
Sehr gut verstehen kann ich allerdings, dass der Manesse-Verlag darauf
verzichtet hat, die nach 1945 spielenden Kapitel: "Die Russen in
Deutschland, Adenauer, Ulbricht und Moskau, Die Berlin-Frage und die
Folgen" abzudrucken. Sie sind nicht mehr von der klaren brillianten Analyse
der ersten Kapitel geprägt und enthalten viele Elemente, die aus der damaligen
Situation (1968) heraus interessant, heute aber eher unwichtig geworden sind, da
sie sich mit der Deutschen Einheit erledigt haben und unzutreffende
Spekulationen, etwa in Bezug auf die Motive Stalins in Bezug auf seine berühmte
Note von 1952.
So ist es ein Verdienst des Manesse-Verlages, durch die Kürzungen eine heute
noch mustergültige Analyse der deutsch-russischen Beziehungen zwischen 1914 und
1945 vorgelegt zu haben, eine Analyse, die erst durch Gerd Koenens obiges Buch
aktualisiert und übertroffen wurde.
Und da Haffner sehr anregend schreibt - er hat die Fähigkeit, das Wichtige vom
unwichtigen zu trennen, das Wesentliche herauszuarbeiten und spannend wie ein
Roman darzustellen (nicht umsonst sagt er, die Geschichte der deutsch-russischen
Beziehungen in dieser Zeit sei "spannender wie ein Roman") lohnt sich
die Lektüre dieses Buches von 1968 - auch in der gekürzten Fassung des
Manesse-Verlages von 1988 - immer noch. Es schildert grundlegend die
wesentlichen Stationen der so wechselvollen Beziehungen Rußlands und
Deutschlands zwischen 1914 und 1945, die mit dem "Teufelspakt"
zwischen dem Kaiserreich und Lenin 1917 begann und mit dem
"Teufelspakt" von 1939, dem Hitler-Stalin-Pakt, einen Höhepunkt fand,
der dann zum blutigen Finale, dem Krieg zwischen Deutschland und Rußland 1941
bis 1945 führte, der unzweifelhaft ein Angriffskrieg Hitlers gewesen ist. Dies
hat Haffner, dessen Buch zunächst beim Erscheinen von der damaligen
sowjetischen Führung zutiefst abgelehnt worden war (weil eben die geheime
Zusammenarbeit zwischen Lenin und dem Kaiserreich erstmals enthüllt worden war)
glänzend herausgearbeitet.