"Alles ist überflüssig! - Das Nichts hätte genügt!" Diese Worte
aus einem in den achtziger Jahren erschienenen Bildband über Cioran bleiben
haften und stellen ihn in den Kontext des radikalen Pessimismus in Frankreich,
der sich insbesondere auch von Deutschland her speiste. Cioran (1911-1995), der
"Dandy der Leere, neben dem selbst Stoiker wie unheilbare Lebemänner
wirken" (Bernhard-Henri Levy), war einer der einflußreichsten
kulturkritischen Denker des 20. Jahrhunderts.
Mit seinen Schriften "Vom Nachteil, geboren zu sein" (dt. 1977) und
"Lehre vom Zerfall" (1953) setzte er Maßstäbe eines von
heilsversprechenden Ideologien entkoppelten eigenständigen Denkens, welches
damit umso einsamer aber konsequenter erschien. Er weigerte sich seit jeher
solchen Proklamationen zu folgen, die ein Heil versprachen, denn Cioran spürte
intuitiv: Es gibt kein Heil. Und so schrieb er dann auch in seinem Werk
"Vom Nachteil, geboren zu sein", daß dies der einzige Gedanke war,
den er hatte, als er seinen Vater, orthodoxer Priester in Herrmanstadt
(Rumänien), allabendlich beten hörte.
Sein Leben ist noch nie so detailreich rekonstruiert worden wie in der
vorliegenden Biografie von Bernd Mattheus aus dem Matthes und Seitz-Verlag. In
bisweilen schmerzlicher Nähe zu den Äußerungen des Selbstmord-Theoretikers
beleuchtet er auch die bislang wenig bekannte Zeit vor seiner Emigration nach
Frankreich. Emil M. Cioran, geboren 1911 im rumänischen Hermannstadt, studierte
an der Universität Bukarest, wo er mit Mircea Eliade und Eugene Ionesco eine
lebenslange Freundschaft schloß. Nach einem längeren Aufenthalt in Berlin
emigrierte er 1937 nach Paris; seit dieser Zeit schreibt er auf französisch.
Aber auch die deutsche Sprache war ihm vertraut. Er sprach sie mit leicht
schwäbischem Dialekt, wovon zahlreiche Tonaufzeichnungen Kunde geben. Das Buch,
das ihn international bekannt machte, war seine "Lehre vom Zerfall",
die von Paul Celan ins Deutsche übersetzt wurde und seinen Ruf als
unerbittlichen Skeptiker begründete.
In der vorliegenden Biographie geht der Autor leider nicht darauf ein, von woher
diese Zerfallslehre inspiriert war - von einem deutschen Denker, über den die
Forschung gerade erst zu forschen begonnen hat: Philipp Mainländer. Hier liegt
nun auch die Verknüpfung hinein in die deutsche Philosophie. Der Tod seiner
Mutter erschütterte Cioran dermaßen, daß er begann, inbrünstig Jorge Luis
Borges, James Joyce, die Gnostiker und vor allem Phillip Mainländers
"Philosophie der Erlösung" (1876/86 - 2. Bände) zu lesen, die 1996
bis 1999 erstmals wieder in neuer Auflage in Deutschland erschienen.
Es folgen viele weitere kompromißlose Werke wie "Syllogismen der
Bitterkeit" (1969) oder "Die verfehlte Schöpfung" (1963). Bis in
die späten 1980er Jahre bleibt Ciorans finanzielle Lage prekär. Er kultiviert
den skeptischen Philosophen, lehnt Literaturpreise mit der Begründung ab, daß
sein Werk eines der Negation sei, welchem man niemals Tribut zollen könne. Was
die wenigsten wissen, hinter dieser bewundernswerten Konsequenz steckt zugleich
die Tatsache, daß er von einer guten Freundin finanziell in seiner Pariser
Mansarde ausgehalten wird. Zu diesem zugleich konsequenten aber auch
inszenierten Leben paßt nun auch die Äußerung Mattheus: "Cioran lachte
gerne und häufig, während der peinlich darauf bedacht war, daß keine heiteren
und gelösten Fotoportraits von ihm veröffentlicht wurden." (18)
1995 stirbt der Aristokrat des Zweifels und der Luzidität als gefeierter Denker
in Paris.
Mattheus gelingt nicht nur eine präzise Rekonstruktion Ciorans Lebens, sondern
auch eine verblüffende Verlebendigung des "nach Kierkegaard einzigen
Denkers von Rang, der die Einsicht unwiderruflich gemacht hat, daß keiner nach
sicheren Methoden verzweifeln kann." (Peter Sloterdijk) Zum Vorschein tritt
ein Cioran, der verzweifelt ist, aber zugleich daraus wieder die lebensbejahende
Kraft schöpft. Es ist dies die "Begegnung mit einem freundlichen
Misanthropen" (9), dessen Geschichtspessimismus grundsätzlich skeptischer
und radikaler als derjenige Oswald Spenglers oder des Hegelianer Alexandre
Kojève ist.
Auffällig an Mattheus Biografie ist die essayistische Verdichtung zu Beginn und
die Tendenz in Richtung Chronik gegen Ende. Die erfolgreich absolvierte Kunst
besteht darin, daß diese "Werkbiografie" niemals langweilig ist.
Stets folgt Mattheus dem Geist der spitzen, verblüffenden Formulierungen
Ciorans, ihm gelingt eine authentische Darstellung eines der radikalsten Denker
des 20. Jahrhunderts, von dem der Biograph meint: "Die Menschenverachtung,
zu der sich Cioran bekennt, müsste eigentlich jedem Lebenden zu eigen sein,
sofern er sich einmal die Geschichte dieser Spezies vergegenwärtigt
hat...."
Mattheus liefert damit eine vorzügliche Monographie zum Werk Ciorans in Form
einer Biographie, die viel neues in sich birgt. So z.B. dass Cioran am 7. April
1976 erstmals Ernst Jünger traf, der in Paris einige Freunde hatte und ohnehin
in Frankreich mehr geschätzt wurde als in seinem identitätslosen Heimatland.
Noch 10 Jahre vorher nahm sich Cioran 1966 vor, eine der folgenden Warnungen an
seiner Tür zu befestigen: "Jeder Besuch ist eine Aggression" -
"Jedes Gesicht stört mich" - "Verdammt sei, wer klingelt" -
"Ich kenne niemanden" - Gefährlicher Irrer"!
Fazit
Ob nun Verzweifelter, Suizidant, Misanthrop, Schauspieler oder konsequenter
Philosoph: Gerade der Gedanke, sein Leben beenden zu können, hielt ihn immer
wieder am Leben. Dieses Buch legt ein inhaltliches Zeugnis über einen Menschen
ab, an den in Rasinari (Rumänien) nur noch eine Steintafel an seinem Elternhaus
sowie eine kleine davor positionierte Büste erinnert.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 29. März 2008 2008-03-29 15:31:39