In der vorliegenden Studie "Die Christlichkeit einer Schule"
betrachtet der Autor Reiner Bohley (1947-1988) ein bedeutendes Kapitel in der
traditionsreichen Geschichte der 1543 gegründeten Landesschule Pforta bei
Naumburg in Sachsen-Anhalt. Es ist dies ein damals vonstatten gegangener
Paradigmenwechsel, der sich in der mikrokosmisch abgeschotteten
"Bildungsinsel" um 1850 vollzog und damit auch Friedrich Nietzsche
(1844-1900) prägte. Das Christentum in der königlich-preußischen Landesschule
fand, so betont Bohley, "immer weniger Berücksichtigung, bis es zu
Nietzsches Schulzeit nur noch durch das kaum beachtete und schlecht
unterrichtete Fach "Religion" zur Geltung kommen konnte".
Den Hauptteil des Buches liefert die 1990 als Dissertation anerkannte Abhandlung
von 1974 zur "Christlichkeit Schulpfortes" zur Schulzeit Nietzsches,
der das Haus von 1858 bis 1864 besuchte. Alle Texte handeln von der Landesschule
Pforta und beziehen sich auf Naumburg und immer wieder auf den jungen Nietzsche,
dessen kulturelle Prägung über Geschehnisse in der Schule und innerhalb des
anhaltinischen Raumes stattfand. Dies wird Bohley nicht müde zu betonen.
Dadurch tritt insbesondere ein Zwiespalt hervor: Die Landesschule Pforta
verstand sich gerade als christliche Schule. Namen großer Deutscher, aber nicht
durch ihr Christentum bekannter Gelehrter wie Klopstock, Fichte, Ranke und
Wilamowitz-Moellendorf werden dennoch mit ihr verbunden bleiben. Der Autor
bestätigt am Ende die These, daß die sächsischen Landesschulen ursprünglich
dazu beitragen sollten, die in Deutschland zur Reformationszeit verloren gehende
christliche Einigkeit zu erhalten. (369) Diesen Beitrag leisteten die
Landessschulen gerade nicht effektiv. Damit wird die Lektüre zu einer sehr
spannenden, die darlegt, daß eine einst hochgehaltene Christlichkeit nur noch
in einem schlecht dargebotenen Religionsunterricht ihre kümmerliche
Winkelexistenz fristete.
Bohley: "Überliefert wurde damit ein Christentum ohne Christus."
Eines, von dem wohl Linien zum Anti-Christentum Nietzsches ausgehen, der
erklärte: "Wenn ich dem Christenthum den Krieg mache, so steht dies mir
zu, weil ich von dieser Seite aus keine Fatalitäten und Hemmungen erlebt
habe." Eine interessante Erkenntnis. Dennoch: Schulpforta war stets
darüber hinaus der Mustertyp des humanistischen Gymnasiums, welches zu einem
lebendigen pädagogischen Organismus entwickelt werden sollte. Das
Bildungsprofil in Schulpforta war besser, als oftmals bekannt. Gut ist es, daß
der Autor Nietzsche nüchtern betrachtet. Nietzsches Taufe, Naumburger Jugend
und christliche Erziehung: Der Leser durchschreitet das Buch wie eine bisher
unentdeckte Sphäre, die neues für die Nietzsche-Forschung und für die
Forschung über Schulpforta enthält. Deshalb sind die Resultate dieser
Untersuchung aus dem Jahre 1974 für die Historiographie selbst nach mehr als
drei Jahrzehnten noch immer von großer Aktualität.
Neben der hier erstmals veröffentlichten Studie enthält der Band drei
Aufsätze, einen Essay sowie einen frühen Vortrag aus dem Nachlass des Autors,
die sein Hauptwerk gehaltvoll ergänzen. Die besondere Leistung des Buches
besteht also darin, genügend Material über die Schulzeit Nietzsches in
Schulpforta zur Verfügung gestellt zu haben - dieses bezieht die Schulrevisoren
(Wiese, Heiland, Möller) und damaligen Lehrkräfte (Deussen, Gersdorff, Wendt)
ein. Sehr schade ist es, daß zu wendig auf das Wirken des Philosophen Johann
Gottlieb Fichte eingegangen wird, insbesondere auf seinen Weg nach Schulpforta
und seinen dortigen Aufenthalt von 1774-1780, unter dem er selbst sehr litt. In
der Fichte-Forschung gibt es inzwischen eigens Studien, die einen tiefen
Einblick in die Schulstruktur liefern und den Gelehrtengeist analysieren,
insbesondere die schulreformerische Bewegung. (Vgl. Fichte in Schulpforta
(1774-1780), Kontext und Dokumente. Mit e. Übers. d. Fichteschen
Valediktionsrede von Stefan Monhardt, von Stefano Bacin, 2007. 425 S., Frommann
Holzboog)
Dabei geht es z.B. um den Theologieprofessor Johann August Ernesti, der sich
für die Schulordnung zur Zeit von Fichtes Aufenthalt verantwortlich zeichnete.
Fakt ist, daß Fichte in Schulpforta nicht glücklich war, worauf selbst sein
Sohn später hinwies. Kein Wort davon in Bohleys Buch. Wir lernen im
vorliegenden Werk nur, daß schon um 1846 durch den Lehrer Carl Eduard Niese
selbst schulische Vorträge über den ehemaligen Schüler Schulpfortas Fichte
gehalten wurden (235), als dieser längst weit bekannt war und damit selbst zum
Thema des Unterrichts wurde. Im Inhaltsverzeichnis (395) wird Fichte sogar mit
verkehrtem Vornahmen - Johann Gottfried Fichte - benannt, der eigentlich heißen
müßte: Johann Gottlieb Fichte.
Fazit
Das Buch bietet neue Informationen für interessierte Philosophen, hätte aber
stellenweise etwas detailfreudiger sein können, wenn es über Nietzsche
hinausgeht. Dennoch zeichnet es sich in seinem eigentlichen Thema durch große
Aufmerksamkeit und Überschaubarkeit aus.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 29. März 2008 2008-03-29 12:43:05