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Stephan Burgdorff, Norbert F. Pötzl, Klaus Wiegrefe: Preußen: Die unbekannte Großmacht

Preußen: Die unbekannte Großmacht

von Stephan Burgdorff, Norbert F. Pötzl, Klaus Wiegrefe
Verlag: Deutsche Verlagsanstalt [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-421-04351-1

Preis: 8,89 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. November 2024]
Das hier zu besprechende Werk ist aus dem Spiegel-Spezial-Sonderband: "Preußen" hervorgegangen, der im vergangenen Jahr erschienen ist. Das Buch folgt der gängigen Geschichtsschreibung und sieht Preußen - in Anlehnung an die französische Schriftstellerin Germaine de Stael - als janusköpfigen "Doppelstaat". Auf der einen Seite stehe das "gute" Preußen, in welchem der Herrscher - zumindest in der Rhetorik Friedrichs des Großen - der erste Diener seines Staates war. Hierfür stehen auch die Reformen der Minister Stein und Hardenberg, die die preußische Verwaltung reorganisierten. Ihre Reformen werden in diesem Band als "das größte Reformprojekt" der deutschen Geschichte bezeichnet.

Auf der anderen Seite stehe das "böse" Preußen: es sei engstirnig, machtbessen und militaristisch gewesen. "So war Preußen zerrissen zwischen Moderne und Rückständigkeit". Dies ist eine der zentralen Thesen des Buches. Und diese Tatsache schaffe eien üppigen Nährboden für Mythen und Legenden. Auf Preußen hätten sich sowohl Reformer wie Reaktionäre, Monarchisten und Demokraten, Junker und Industrielle, Liberale und Konservative, Nationalsozialisten und Widerstandskämpfer berufen können. Daher erscheine Preußen heute noch als eine weithin "unbekannte Großmacht". Preußen sei durch Ästhetisierung verharmlost, andererseits durch Karikierung verteufelt worden.

In diesem Buch loten Spiegel-Redakteure und auf die Geschichte Preußens spezialisierte Historiker das vielschichtige Wesen des 1947 untergegangenen Staates aus.

An diesem Band besticht insbesondere die historische Einführung von Klaus Wiegrefe. Dies ist auch der Grund, weshalb ich dem Buch die volle Punktzahl gebe. Differenziert analysiert der Spiegel-Redakteur in seinem glänzenden Essay Stärken und Schwächen Preußens vom Beginn des Königtums 1701 bis zu seinem Untergang 1947. Was ich an diesem Essay besonders interessant finde, ist, dass er Preußen nicht - wie das im letzten Jahr erschienene Werk des australischen Historikers Christopfer Clark - mit der Ausrufung des deutschen Kaiserreiches 1871 untergehen lässt. Die Sorge des preußischen Königs und späteren ersten deutschen Kaisers Wilhelm I., mit der Gründung des Kaiserreiches werde das preußische Königtum zu Grabe getragen, sei unberechtigt gewesen. Das janusköpfige Preußen habe mit seinen Widersprüchen auch das Kaiserreich geprägt, dessen "Leitkultur" die Militarisierung der Gesellschaft gewesen sei, wie dies Carl Zuckmayer in seinem "Hauptmann von Köpenick" treffend dargestellt habe. Das alte Preußen habe seine Privilegien gewahrt, das Dreiklassenwahlrecht sei im Kaiserreich nie reformiert worden, die politische Macht des ostelbischen Grundbesitzes nicht gebrochen worden. Die führende Industriemacht Europas mit seinen modernen Universitäten, einer Kranken- und Unfallversicherung, die es sonst noch nirgends gab und die zeigten, dass das Kaiserreich an der Spitze des sozialen Fortschritts stand, wurde wie eine halbfeudale Militärmonarchie regiert: "der preußische Januskopf im Reichsmaßstab.". Ansonsten habe eine "geistige Leere" in Preußen geherrscht, die durch Nationalismus und Militarisung der Gesellschaft ausgefüllt worden sei. Immerhin habe das Kaiserreich trotz nationalen Größenwahns über 40 Jahre Frieden mit seinen Nachbarn gehalten, ehe es Europa 1914 mit Krieg überzog: nicht als Alleinschuldiger, aber als Hauptschuldiger.

Die beste Zeit der preußischen Geschichte sei das demokratische Preußen zwischen 1918 und 1932 gewesen, für das stellvertretend der langjährige sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun gestanden habe. Dieses wurde am Ende der Weimarer Republik durch den reaktionären Reichskanzler Franz von Papen und den - den ostelbischen Grundbesitz repräsentierenden - ebenfalls reaktionär denkenden Reichspräsidenten von Hindenburg - durch den Preußenschlag zerstört. Hitler habe den Preußenmythos für eigene Zwecke - insbesondere zur Stabilisierung seiner Macht benutzt, wie der "Tag von Potsdam", die "Rührkomödie", gezeigt habe. "Ob es ohne ein Königreich Preußen Hitler nicht gegeben hätte, ist eine beliebte Frage." [Christopher Clark verneint im gleichen Band in einem Interview diese Frage und plädiert dafür, nicht länger Traditionslinien von Preußen zum Nationalsozialismus zu ziehen]. Profitiert habe Hitler von dem Hohenzollernstaat in einer Hinsicht: es habe lange gedauert, ehe die Wehrmachtoffiziere ihre preußisch-verquasten Ehrbegriffe aufgaben und den Diktator zu töten versuchten. Am Ende habe Hitlers Hybris Preußens Existenz zerstört. Preußen sei daher passé, Deutschland - verankert in westlichen Bündnissen - könne auf dem weiteren Weg zur politischen Union Europas von Preußen, weldhes weder republikanisch noch föderativ organisiert war, nichts lernen.

Diesem Essay muss man nicht in allen Einzelheiten folgen, aber er ist dennoch anregend und informativ. Dies gilt auch für die folgenden Einzelbeiträge der Historiker. Frank-Lothar Gall schildert die Gründung des Königreichs Preußen und seine Vorgeschichte in der Mark Brandenburg. Christopher Clark, dessen letztes Jahr erschienenes Buch über Preußen mit Sicherheit zum Standardwerk werden wird (wie in der informativen Literaturliste am Schluss des Bandes zu recht vermerkt ist), untersucht Preußen zur Zeit Friedrichs des Großen, den er - insgesamt eher wohlwollend - portraitiert. Harald Biermann sieht in der Proklamantion des Deutschen Kaiserreiches 1871 den Schlusspunkt des Bündnisses der Nationalbewegung mit Bismarcks Preußen nach der Revolution von 1848. Heinrich August Winkler, Autor des fasznierenden Standardwerkes: "Deutschlands langer Weg nach Westen" analysiert den verhängnisvollen Einfluss der Junker in Kaiserreich und Weimarer Republik sowie die Pervertierung preußischer Tugenden im Nationalsozialismus.

Doch es gibt auch Beiträge zur preußischen Kulturgeschichte. Günter de Bruyn shcildert die bunte Literatenszene "von Herrscherlob und Kriegslyrik bis zur nostalgischen Geschichtsverklärung", Susanne Beyer portraitiert die faszinierende "preußische Salondame" Rahel von Varnhagen, Bettina Musall die berühmte und legendäre Königin Luise.

Das Buch bietet eine - sicherlich nicht unumstrittene und durchaus zu Kontroversen anregende - Überblicksdarstellung zu Preußen, die - populärwissenschaftlich geschrieben - sich an Laien und Historiker wendet und auch gut für Referate für Schüler in der Oberstufe geeignet ist.
Fazit
Natürlich kommt das Buch an Standardwerke wie Haffners: "Preußen ohne Legende" oder Clarks: "Preußen" nicht heran. Diese sind ausführlicher und schreiben chrnologisch eine Geschichte dieses Staates. Dennoch ist dieses Buch stellenweise sogar informativer - weil es sich bemüht, die zahllosen Fakten zu interpretieren und - unter Einbeziehung der neuesten Forschungen über Preußen - einen fundierten Überblick auch über kontroverse Themen - etwa die Frage der Kontinuität von Preußen zu Hitler - zu geben. Daher als Einführung in jedem Fall eine hervorragende Wahl, die durch die oben genannten Werke - und auch die Preußen-Darstellung von Hans-Joachim Schoeps - dann ergänzt werden kann. Unbedingt lesenswert.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 09. März 2008

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