Jean-Paul Sartre (1905-1980) gilt als derjenige, der zuerst das Lebensgefühl
der Nachkriegszeit zum Ausdruck brachte. Seine Philosophie der Freiheit schien
Handlungsspielräume zu eröffnen. Sein Konzept der engagierten Literatur fand
breite Resonanz. Vor allem aber verkörperte Sartre die Gestalt des kritischen
Intellektuellen, der sich mit kenntnisreicher und wohlüberlegter
Selbstermächtigung in aktuelle Probleme der Gesellschaft einmischte.
Peter Bürger liefert im vorliegenden Büchlein eine sinnvolle Reaktualisierung
Sartres und zeigt anhand zentraler Aspekte der Philosophie seine Bedeutung für
die Gegenwart auf. Seine pragmatische Relektüre Sartres stellt auf wenigen
Seiten Sartres Philosophie dar, erforscht, warum er seinerzeit Erfolg haben
konnte, und er bietet dem Leser einen einmaligen Ausblick darauf, wie wir heute
auf Sartre Bezug nehmen können. Damit wird das Buch zu einem Wegweiser in
Gestalt einer Rezeption, die in die Zukunft weist und die Neues zur Analyse der
Gegenwart beiträgt. Das neue Sartre-Bild steht in der Nachfolge Nietzsches und
als Vorläufer postmoderner Subjektkritik. Und lacht man oft über die Fragen
des Philosophen, so stellt Bürger dar, daß dies niemals ein sinnvolles
objektives Lachen sein kann, sondern eines der Unkenntnis, des Unwissens
darüber, weil man die Probleme des Philosophen nicht wirklich kennt. So auch
bei Sartre.
Das Buch kann als Aufruf gelesen werden, Sartres Subjektphilosophie zu leben,
davon selbst heute noch Zeugnis abzulegen. Es betont, daß das Ich zu sich ein
Verhältnis der Äußerlichkeit hat, da es nie mit sich übereinstimmt. Und dies
war Sartres Grundfrage. Das Ich ist stets mit einem wagen Gefühl des Mangels
bedrückt, den es nicht abschütteln kann, zugleich aber als Energie zu
sublimieren befähigt ist. (13) Dennoch glänzt dadurch eben dieses Denken - so
Bürger - durch einen unerschütterlichen Optimismus bei Sartre auf, der
zugleich von Sätzen durchbrochen wird wie: "Die Geschichte des Lebens, wie
es auch sei, ist die Geschichte des Scheiterns." Der Mensch war für Sartre
eine unnütze Leidenschaft. Hier denkt der Leser an Cioran, der nach ähnlicher
Maxime einsam zurückgezogen in Paris lebte, daß alles überflüssig ist und
das Nichts genügt hätte. Ja, vielleicht wäre das Nichts segensreicher für
die Massen trauriger Menschen gewesen. Cioran und seinem Werk der gut
begründeten Negation wäre dann Recht zu geben. Sartre aber auch. Aber er geht
weiter und meint, daß man das Elend ertragen kann.
Damit sind wir bei der zentralen These Bürgers (76): "Der für Sartres
Freiheitsphilosophie konstitutive Akt der Selbstwahl beruht auf einem
Als-Ob." Das Als-Ob verändert für Bürger die subjektive Wahrnehmung der
Situation sowie deren Bedeutung, indem es diese unter einer doppelten
Perspektive in den Blick rückt. Ein Marsch mit voller Ausrüstung bleibt zwar
eine Strapaze, (...), aber statt dagegen aufzubegehren (...), betrachtet Sartre
sie als selbst gewählte Prüfung, in der er die Leistungsfähigkeit seines
Körpers erproben kann." - Die Vorstellung einer selbst gewählten
göttlichen Prüfung, die sich aber das eigene Bewußtsein auserwählt, kann
also als Ausweg zum irdischen Elend gesehen werden, an dem das Ich entscheidend
emporwächst und reift. Diese konstruktive Selbstwahl wird dann zum Prozeß
ergiebiger aber leidender Selbstermächtigung. Das Subjekt dieser Herrschaft
über das Selbst ist das Bewußtsein, das sich über den Akt der
Selbstermächtigung und der Sinnzuteilung an das Elend über ebendieses erheben
kann. Dieses Konzept der Selbstwahl nun - es ist Zentrum der
Freiheitsphilosophie Sartres und für Bürger Anknüpfungspunkt für die
Gegenwart.
Das vorliegende Buch bietet damit eine sinnvolle Aufklärung und ist der
papierne Appell, Philosophie zu leben und das Sein zu ertragen. Zugleich erkennt
der philosophische Laie, daß Philosophie substanziellere Lösungen bereithält,
als man es von den "Weltfremden" erwartet, die sich doch recht schnell
als wahre Verständige der Welt entpuppen. Und noch mehr: Das was wohl auch für
die konsequente "Philosophie der Erlösung" (1876) Philipp
Mainländers (1841-1876) zutrifft, die einst im selbst gewählten und
erlösenden Suizid gipfelte: Der denkende Pessimist ist eigentlich immer nur ein
besser unterrichteter Optimist, der seine Erlösung im Sein und im Nichtsein
zugleich findet und sich einfach nur irgendwann entscheidet. Beide
Entscheidungen sind jeweils - aus individueller Selbstwahl - als richtig zu
betrachtet. Man nehme Abstand davon, sie bewertend zu disqualifizieren, denn mit
Sartre wissen wir nun, daß die individuelle Selbstwahl für das Ich jeweils die
richtige Wahl ist.
Fazit
Beide Entscheidungen sind jeweils - aus individueller Selbstwahl - als richtig
zu betrachtet. Man nehme Abstand davon, sie bewertend zu disqualifizieren, denn
mit Sartre wissen wir nun, daß die individuelle Selbstwahl für das Ich jeweils
die richtige Wahl ist.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 01. März 2008 2008-03-01 10:59:39