Das Hauptwerk John Lockes (1632-1704) zur Politischen Philosophie sind die
"Two Treatises of Government". Die erste Abhandlung dekonstruiert die
Theorie einer auf Gottes Gnade beruhenden Alleinherrschaft. Die hier vorliegende
zweite Abhandlung (1689) ist ein klassischer Text liberalistischen politischen
Denkens. Für praktisches politisches Handeln in England erlangten die Texte
erst später Bedeutung, als die Revolutionen des 18. Jahrhunderts, in Frankreich
und Amerika, von den Gedanken Lockes bestimmt wurden. Das Buch hat auch
Bedeutung für die Entwicklung der konstitutionellen Monarchie in England (202)
gewonnen. Lockes hier gesammelten Gedanken über die menschliche Erkenntnis
übten großen Einfluss auf den politischen Liberalismus und die Aufklärung
aus. Sie waren zudem von großer Bedeutung für David Hume, Leibniz und Kant.
Locke spricht sich gegen den Absolutismus. Er fürchtet ihn sogar. Daher die
liberale Ausrichtung dieses Philosophen, der seinem Staat, geschlossen als
Vertrag seiner Bürger, ein entsprechendes Ziel einmeißelt. Locke ist
Begründer des liberalen Kontraktualismus, des staatsphilosophischen
Vertragsdenkens im Liberalismus ohne monarchistische Konsequenzen wie etwa
Thomas Hobbes. Locke sucht im vorliegenden Buch eine Rechtfertigung für
Herrschaft außerhalb der Bibel und verwendet lediglich die Mittel von Hobbes -
ohne allerdings zu dessen Konsequenz zu gelangen. Der Naturzustand sei ein
herrschaftsfreier Raum. Es ist aber ein anthropologiefreier und normativer
Zustand der Beziehungen unter den Menschen. Man darf darin frei verfügen über
sein Eigentum und es gibt natürliche Gesetzes. Es gibt das Grundrecht auf
Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Arbeit und auf Privatbesitz.
Freiheit, Gleichheit, Eigentum sind nach Locke in seiner Abhandlung wichtig für
die Existenz des Menschen. Eigentum entsteht durch das Bearbeiten der Natur; es
ist das Prinzip der Arbeit an der Natur; es erzeugt Gebrauchsgegenstände und
Eigentum über einen Aneigungsprozeß qua Arbeit, der die individuell wirkenden
Eigenschaften des Menschen auf das Eigentum überträgt. Das Geld ist im
Gegensatz zur Naturalwirtschaft das Mittel zur Tauschwirtschaft auf höherer
Ebene: Es kann akkumuliert werden und kann Kapital bilden; es sprengt aber den
Rahmen dieser Subsitenzwirtschaft und sorgt für soziale Ungleichheit. Die
institutionelle Ordnung sei durch den Vertrag zu gestalten. Dazu bedürfe es der
Legislative, Judikative und Exekutive in der Gesetzgebung und der
Gewaltenvollstreckung.
Der Staat bei Locke ist also naturrechtlich begründet. Diese Naturrechte seien
zu schützen. Die Exekutive und Legislative müssen eingeführt werden, da diese
im Naturzustand fehlen. Neue Souveränität ist nötig und diese funktioniert
nach der Mehrheitsregelung. Damit tritt die über jeglichen Widerstand erhabene
"Bodyregelung" des absoluten Anspruchs des Leviathans wie bei Hobbes
nicht mehr komplett auf. Das ist ein staatsphilosophisches Novum, welches Locke
in seinem wichtigen Buch entfaltet.
Die Legislative nämlich ist die oberste politische Gewalt (supreme power),
eingeführt durch die Vertragsschließenden. Bei Mißbrauch fällt das Recht zur
Errichtung der Souveränität wieder an das Volk zurück. Das Volk fällt also
nicht in den Naturzustand zurück wie bei Hobbes. So entsteht die Idee der
Volkssouveränität bei Locke. Die Exekutive besteht in der getrennten,
föderativen Gewalt. Die absolute Monarchie als Tyrannis ist bei Locke mit der
bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr vereinbar, womit Hobbes kritisiert wird.
Auch kommen hier zum ersten Mal die Ideen des Widerstandsrechts und des Rechts
auf Revolution zum Ausdruck. Locke fordert die Rede- und Pressefreiheit; die
Kirchen sollen frei sein, was bei ihm nicht für Katholiken und Atheisten gelten
sollte.
Wir haben hier also ein Buch eines der ersten neuzeitlichen
Demokratietheoretiker vor uns liegen. Es ist dies die Schrift zur Vorbereitung
der amerikanischen Verfassung. Ihr "Besitzindividualismus" (313) oder
possessiver Individualismus, d. h. das Primat des Besitzes von Eigentum, können
auch als Vorform des Kapitalismus gesehen werden. Lockes Demokratisierung des
Leviathans war wegweisend, hat aber auch Schwachstellen, wen wir uns die
potentielle soziale Ungerechtigkeit im Zuge des Besitzes von Eigentum und wenn
wir uns seine Erkenntnistheorie betrachten.
Locke war der Begründer des erkenntnistheoretischen Empirismus in der neueren
Philosophie, wonach alle Erkenntnis aus der Erfahrung stamme, und zwar durch die
Wahrnehmung äußerer Gegenstände (sensation) oder der internen Prozesse des
Geistes, der Selbstbeobachtung (reflection). Auf der erkenntnistheoretischen
Richtung des Empirismus lastet aber ein Widerspruch: Vorbedingung aller
Erfahrung ist die Zeit, Erfahrung bedeutet lernen aus der Vergangenheit für die
Zukunft. Im Gegenzug findet aber gerade aufgrund der Zeitlichkeit der Erfahrung
in der Erfahrung keine exakte Wiederholung statt. Damit wird bei strenger
Betrachtung jeglicher Verallgemeinerung der Boden entzogen und die Erfahrung
fruchtlos. Erfahrung besteht bei Locke somit aus singulären, unwiederholbaren
Tatsachen, obwohl doch sinnvolle Erfahrungen einer Wiederholung bedürfen.
Zwar sind Lockes Theorien der Grundrechte, der Gewaltenteilung und des
Widerstandsrechtes zu begrüßen, wurden aber aus gutem Grunde von
metaphysischen Denkern abgelehnt. Dies betont auch der im Buch enthaltene
Kommentar: "In Deutschland ist die Rezeption der Staatsphilosophie Lockes
nicht nur durch eine bei allen großen Philosophen von Leibnitz über den
Deutschen Idealismus bis Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger anhaltende
Abneigung gegen den britischen Empirismus und das individualistische
‚Nutzendenken’ behindert worden." (202) Hier hätte man wohl auch
betonen müssen, daß dies aus gutem Grunde passierte, hat doch Locke als
Kronzeuge einer pragmatischen politischen Philosophie wenig mit apriorischen
metaphysischen Theorien von Staat wie bei Platon, Fichte oder Hegel zu tun.
Während hier der Staat apriorisch definiert wird als geistiges Idealbild und
unabhängig von äußerer Erkenntnis, ist er bei Locke durch reine äußere
Erfahrung zu gestalten. Es ist dies nicht einander wertend gegenüberzustellen
wie es der Kommentar tut, sondern vielmehr vor dem Hintergrund verschiedener
philosophischer Grundannahmen zu sehen.
Fazit
Man sollte die enthaltene historische und systematische Einführung also
parallel zum Text selbst lesen, um dann ein eigenes Bild der
Rezeptionsgeschichte Lockes zu erhalten. Der Stellenkommentar und das Glossar im
vorliegenden Buch sind dafür geeignet. Auch ist dabei nicht zu vergessen, daß
wir es hier mit einer Frühschrift des Frühkapitalismus zu tun haben, und zwar
im Ursprungsland des aufkommenden Kapitalismus. Jedes geistige Phänomen hat
seine eigene Ursache und damit auch Rechtfertigung. Damit gibt es auch kein
"Besser" oder "Schlechter" zwischen beispielsweise Locke
oder Hegel, sondern nur ein "Anders" aufgrund divergierender
politischer Lage oder geistiger Disposition.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 24. Februar 2008 2008-02-24 12:48:53