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John Locke, Ludwig Siep: Zweite Abhandlung über die Regierung

Zweite Abhandlung über die Regierung

von John Locke, Ludwig Siep
Verlag: Suhrkamp Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-518-27007-3

Preis: 15,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. November 2024]
Das Hauptwerk John Lockes (1632-1704) zur Politischen Philosophie sind die "Two Treatises of Government". Die erste Abhandlung dekonstruiert die Theorie einer auf Gottes Gnade beruhenden Alleinherrschaft. Die hier vorliegende zweite Abhandlung (1689) ist ein klassischer Text liberalistischen politischen Denkens. Für praktisches politisches Handeln in England erlangten die Texte erst später Bedeutung, als die Revolutionen des 18. Jahrhunderts, in Frankreich und Amerika, von den Gedanken Lockes bestimmt wurden. Das Buch hat auch Bedeutung für die Entwicklung der konstitutionellen Monarchie in England (202) gewonnen. Lockes hier gesammelten Gedanken über die menschliche Erkenntnis übten großen Einfluss auf den politischen Liberalismus und die Aufklärung aus. Sie waren zudem von großer Bedeutung für David Hume, Leibniz und Kant.

Locke spricht sich gegen den Absolutismus. Er fürchtet ihn sogar. Daher die liberale Ausrichtung dieses Philosophen, der seinem Staat, geschlossen als Vertrag seiner Bürger, ein entsprechendes Ziel einmeißelt. Locke ist Begründer des liberalen Kontraktualismus, des staatsphilosophischen Vertragsdenkens im Liberalismus ohne monarchistische Konsequenzen wie etwa Thomas Hobbes. Locke sucht im vorliegenden Buch eine Rechtfertigung für Herrschaft außerhalb der Bibel und verwendet lediglich die Mittel von Hobbes - ohne allerdings zu dessen Konsequenz zu gelangen. Der Naturzustand sei ein herrschaftsfreier Raum. Es ist aber ein anthropologiefreier und normativer Zustand der Beziehungen unter den Menschen. Man darf darin frei verfügen über sein Eigentum und es gibt natürliche Gesetzes. Es gibt das Grundrecht auf Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Arbeit und auf Privatbesitz.

Freiheit, Gleichheit, Eigentum sind nach Locke in seiner Abhandlung wichtig für die Existenz des Menschen. Eigentum entsteht durch das Bearbeiten der Natur; es ist das Prinzip der Arbeit an der Natur; es erzeugt Gebrauchsgegenstände und Eigentum über einen Aneigungsprozeß qua Arbeit, der die individuell wirkenden Eigenschaften des Menschen auf das Eigentum überträgt. Das Geld ist im Gegensatz zur Naturalwirtschaft das Mittel zur Tauschwirtschaft auf höherer Ebene: Es kann akkumuliert werden und kann Kapital bilden; es sprengt aber den Rahmen dieser Subsitenzwirtschaft und sorgt für soziale Ungleichheit. Die institutionelle Ordnung sei durch den Vertrag zu gestalten. Dazu bedürfe es der Legislative, Judikative und Exekutive in der Gesetzgebung und der Gewaltenvollstreckung.

Der Staat bei Locke ist also naturrechtlich begründet. Diese Naturrechte seien zu schützen. Die Exekutive und Legislative müssen eingeführt werden, da diese im Naturzustand fehlen. Neue Souveränität ist nötig und diese funktioniert nach der Mehrheitsregelung. Damit tritt die über jeglichen Widerstand erhabene "Bodyregelung" des absoluten Anspruchs des Leviathans wie bei Hobbes nicht mehr komplett auf. Das ist ein staatsphilosophisches Novum, welches Locke in seinem wichtigen Buch entfaltet.

Die Legislative nämlich ist die oberste politische Gewalt (supreme power), eingeführt durch die Vertragsschließenden. Bei Mißbrauch fällt das Recht zur Errichtung der Souveränität wieder an das Volk zurück. Das Volk fällt also nicht in den Naturzustand zurück wie bei Hobbes. So entsteht die Idee der Volkssouveränität bei Locke. Die Exekutive besteht in der getrennten, föderativen Gewalt. Die absolute Monarchie als Tyrannis ist bei Locke mit der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr vereinbar, womit Hobbes kritisiert wird. Auch kommen hier zum ersten Mal die Ideen des Widerstandsrechts und des Rechts auf Revolution zum Ausdruck. Locke fordert die Rede- und Pressefreiheit; die Kirchen sollen frei sein, was bei ihm nicht für Katholiken und Atheisten gelten sollte.

Wir haben hier also ein Buch eines der ersten neuzeitlichen Demokratietheoretiker vor uns liegen. Es ist dies die Schrift zur Vorbereitung der amerikanischen Verfassung. Ihr "Besitzindividualismus" (313) oder possessiver Individualismus, d. h. das Primat des Besitzes von Eigentum, können auch als Vorform des Kapitalismus gesehen werden. Lockes Demokratisierung des Leviathans war wegweisend, hat aber auch Schwachstellen, wen wir uns die potentielle soziale Ungerechtigkeit im Zuge des Besitzes von Eigentum und wenn wir uns seine Erkenntnistheorie betrachten.

Locke war der Begründer des erkenntnistheoretischen Empirismus in der neueren Philosophie, wonach alle Erkenntnis aus der Erfahrung stamme, und zwar durch die Wahrnehmung äußerer Gegenstände (sensation) oder der internen Prozesse des Geistes, der Selbstbeobachtung (reflection). Auf der erkenntnistheoretischen Richtung des Empirismus lastet aber ein Widerspruch: Vorbedingung aller Erfahrung ist die Zeit, Erfahrung bedeutet lernen aus der Vergangenheit für die Zukunft. Im Gegenzug findet aber gerade aufgrund der Zeitlichkeit der Erfahrung in der Erfahrung keine exakte Wiederholung statt. Damit wird bei strenger Betrachtung jeglicher Verallgemeinerung der Boden entzogen und die Erfahrung fruchtlos. Erfahrung besteht bei Locke somit aus singulären, unwiederholbaren Tatsachen, obwohl doch sinnvolle Erfahrungen einer Wiederholung bedürfen.

Zwar sind Lockes Theorien der Grundrechte, der Gewaltenteilung und des Widerstandsrechtes zu begrüßen, wurden aber aus gutem Grunde von metaphysischen Denkern abgelehnt. Dies betont auch der im Buch enthaltene Kommentar: "In Deutschland ist die Rezeption der Staatsphilosophie Lockes nicht nur durch eine bei allen großen Philosophen von Leibnitz über den Deutschen Idealismus bis Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger anhaltende Abneigung gegen den britischen Empirismus und das individualistische ‚Nutzendenken’ behindert worden." (202) Hier hätte man wohl auch betonen müssen, daß dies aus gutem Grunde passierte, hat doch Locke als Kronzeuge einer pragmatischen politischen Philosophie wenig mit apriorischen metaphysischen Theorien von Staat wie bei Platon, Fichte oder Hegel zu tun. Während hier der Staat apriorisch definiert wird als geistiges Idealbild und unabhängig von äußerer Erkenntnis, ist er bei Locke durch reine äußere Erfahrung zu gestalten. Es ist dies nicht einander wertend gegenüberzustellen wie es der Kommentar tut, sondern vielmehr vor dem Hintergrund verschiedener philosophischer Grundannahmen zu sehen.
Fazit
Man sollte die enthaltene historische und systematische Einführung also parallel zum Text selbst lesen, um dann ein eigenes Bild der Rezeptionsgeschichte Lockes zu erhalten. Der Stellenkommentar und das Glossar im vorliegenden Buch sind dafür geeignet. Auch ist dabei nicht zu vergessen, daß wir es hier mit einer Frühschrift des Frühkapitalismus zu tun haben, und zwar im Ursprungsland des aufkommenden Kapitalismus. Jedes geistige Phänomen hat seine eigene Ursache und damit auch Rechtfertigung. Damit gibt es auch kein "Besser" oder "Schlechter" zwischen beispielsweise Locke oder Hegel, sondern nur ein "Anders" aufgrund divergierender politischer Lage oder geistiger Disposition.
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 24. Februar 2008

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