Es ist wohl niemandem mehr der erfolgreich realisierte literarische Anspruch,
das Menschliche in Kunst und Kunst zur Kunstreligion konvertieren zu lassen,
nachzuweisen, als dem Dichter Stefan George (1868-1933). Er wurde mit diesem
Anspruch zum lichtbringenden Propheten, zum Verkünder einer Wiedergeburt des
Menschen und seines Reiches.
Das Werk und die Gestalt Georges, sein Kreis und seine umfassende Wirkung ziehen
nach wie vor und heute mehr denn je großes Interesse auf sich. Er schuf mit
seinem künstlerischen Formwillen, einer eigenen Schrift, der strengen
Komposition seiner Gedichtzyklen und einer hochstilisierten graphischen
Gestaltung Gesamtkunstwerke, die ihn zu einem der avanciertesten Dichter seiner
Zeit machten. Es lebt in seinen Texten ein unverwechselbarer Verstand, eine
lyrische Strenge, die auch von Strenge mit sich selbst zeugt. Jene große
Ernsthaftigkeit und die Strenge schufen eine Form, die einen einmaligen Text
generiert. Davon zeugt nun die vorliegende Gedichtsammlung Georges.
Es ist dies eine Auswahl seines Werkes, welche das gesamte dichterische Schaffen
darbietet, schlichtweg die neun Gedichtbände von den Hymnen (1890) bis zum
Neuen Reich (1928). Sie wird hier ergänzt durch an die jeweiligen Gedichtzyklen
zeitgebundene Porträts des Dichters. Folgende Zyklen vereint der vorliegende
Band in einführender Auswahl: DIE FIBEL, HYMNEN, PILGERFAHRTEN, ALGABAL, DAS
JAHR DER SEELE, DER TEPPICH DES LEBENS, DER SIEBENTE RING, DER STERN DES BUNDES
und DAS NEUE REICH.
Auch der Begriff "Geheimes Deutschland", der das Verhältnis des
deutschen Soldaten zu dem Dichter prägte, findet Erwähnung und liest sich
einmal mehr als getragen von größerer Bedeutung, als man ihm diese heute
zuerkennt. Und ist es schwer, diese lyrische Form mit konkretem Inhalt zu
füllen, so gilt es zu bedenken, daß es vorrangig jene spirituellen und
mythologischen Motive waren, welche die Gedankenwelt des politischen
Widerstandes 1944 trugen und dafür stehen, daß Georges neues Reich nicht durch
Politik herbeigeführt werden solle, sondern durch die Vernichtung aller Politik
und durch das Ideal der "kunst für die kunst". - Eine selbstständige
Kunst. Eine absolute Kunst, die nur noch die absolute Entsagung von jeglichem
Profanen verheißt und in der einen gutbürgerlichen Weg verneinenden Tat des
Grafen Stauffenberg ihren empirischen Widerhall fand. Und diese Tat war nicht
profan.
Das "Geheime Deutschland" (207ff.) aus dem Zyklus "DAS NEUE
REICH" - Georges letzter Gedichtband - liest sich damit umso spannender,
denn vor diesem Hintergrund scheint noch einmal die deutsche Geistesgeschichte
des frühen 20. Jahrhunderts in Gänze neu auf. Sie spiegelt sich in den eigenen
Gedanken und führt dazu, daß der Leser analog zu reflektieren beginnt, um die
auch von George getroffene Entscheidung eines Bruchs mit bürgerlichem
Lebensideal nachzuvollziehen. Dadurch entstand bei George und seinen Anhängern
ein eigener Lebenskreis, getragen von Selbstdisziplin und gelebter Ästhetik.
Dieser Lebenskreis wird bei fortschreitender ernsthafter Lektüre auch dem Leser
verständlich.
Fazit
Nehmen wir also das Werk Georges, die Idee einer Bindung des neuen Reiches ganz
an die Kunst, die semantische Offenheit des Liedes und damit dieses vorzügliche
Büchlein ernst, so ließe sich im Sinne des Dichters Rolf Schilling über
George trefflich resümieren: "Und doch: Dieses Leben im Gleichnis, ein
erfülltes Leben in später Zeit, bleibt in mancher Hinsicht trotz seiner
überzüchteten Albernheit vorbildlich für uns. George hat es verstanden,
(...), mit mancher Gewalttätigkeit gegen sich selbst, einen Lebenskreis zu
gründen und zu wahren, der uns staunen macht. Denn dies ist die einzige, (...),
noch mögliche geistige Lebensform: Eine Gemeinschaft von Freunden, die sich,
fern von der widerwärtigen Plattheit des bürgerlichen Alltags und
Kulturbetriebs, ganz der Schönheit weihen." (Rolf Schilling, Kreis der
Gestalten. Zwölf Huldigungen, 1990, S. 17) - Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
-
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 04. Februar 2008 2008-02-04 19:55:49