Über was darf in Deutschland gelästert werden? Über Ehepartner, Nachbarn,
Kinder, das Schulsystem oder die Bürokratie an sich? Über Ausländer,
Aussiedler, Zuwanderer aller Art? Wladimir Kaminer hat in inzwischen 11 Büchern
aus seiner Sicht als Einwanderer über Erfahrungen mit den Deutschen gespottet.
Auch über die russische und die kaukasische Seele, über russische Zuwanderer,
die in Berlin merkwürdigen Geschäften in völlig kundenfreien Telefonläden
nachgehen, erzählt Kaminer mit trockenem Humor. Unvergesslich ist seine
Geschichte, wie die Eltern Kaminer (jeder von ihnen Inhaber eines deutschen
Passes) mit ihren beiden "staatenlosen" Kindern verreisen wollten.
Nachbarn, Kinder, Ehepartner und einen gewissen Groll auf deutsche Behörden
haben wir alle. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen -
schnell glimmt mehr als nur ein Funken Schadenfreude beim Lesen der Glossen
Kaminers auf.
In "Mein Leben im Schrebergarten" knöpft der erfolgreiche Autor sich
2006, das Jahr der Fußballweltmeisterschaft, vor. Olga Kaminer hatte schon
lange beschaulichen Erinnerungen an ihre kaukasische Oma und deren selbst
angebautes Gemüse nachgehangen. Obwohl beide Kaminers bis dahin gartentechnisch
komplette Versager gewesen waren, bewarben sie sich um einen Kleingarten in der
grenzüberschreitenden, frisch wiedervereinigten Kolonie Glückliche Hütten.
Olga will vom Liegestuhl aus den Rosen beim Blühen zusehen und Wladimir an
seinem nächsten Buch arbeiten. Die Kinder werden sich hoffentlich selbst
beschäftigen können. Die erhoffte Idylle bringt außer einer Invasion
unbekannter blau blühender Pflanzen und herbstlichen Obst-Schwemmen die
Konfrontation mit kleinbürgerlicher deutscher Regelungswut. So sind sie, die
Deutschen - und die wiedervereinten Ost- und Westdeutschen erst recht. Nach
einem Urlaub vom Garten im Kaukasus und der Erholung von diesem Urlaub auf Ibiza
erwartet Kaminers im Kleingarten ein undurchdringlicher Dschungel, aus dem sich
alsbald eine Apfelschwemme nie da gewesenen Ausmaßes ergießen wird. Dämmten
Kaminers ihre Apfelschwemme eigenhändig ein oder ließen sie Schwemme Schwemme
sein? Der Bericht aus ihrem Berliner Schrebergarten endet verhalten und leicht
lustlos.
Spotten darf man in Deutschland über ziemlich vieles. Mit seinem kargen Satz im
Wikipedia-Stil über einen deutschen KZ-Häftling und seine Apfelbäume schrammt
Kaminer nur knapp an der Grenze zum guten Geschmack vorbei. Etwas mehr
"Cherz" für Opfer des Nationalsozialismus dürfte ein
deutschsprachiger Autor gern zeigen.
Fazit
Die beschwingte Stimmung in Deutschland während des Sommers 2006 unter Leitung
temperamentvoller Besucher aus aller Welt oder die Komik einer Apfelschwemme,
die selbstverständlich immer alle Gartennachbarn gleichzeitig trifft, bringt
Kaminer wenig überzeugend an den Leser. Möglich, dass der Autor sich mit
seinem nächsten Buch wieder in alter Frische zeigen wird. Über das deutsche
Schulsystem ist noch längst nicht alles gelästert - und Kaminers haben zwei
schulpflichtige Kinder.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 30. Januar 2008 2008-01-30 11:02:42