Wer sich bewußt Gomez Davila widmet, hat sich ebenso bewußt aus der
Oberfläche der herrschenden Gemeinplätze zurückgezogen, um in das reine und
ungebundene Denken selbst einzutauchen. Nicolás Gómez Dávila (1913-1994) ist
neben Gabriel García Márquez der bedeutendste Autor Kolumbiens im 20.
Jahrhundert. Er ist - wie angedeutet - ein Selbstdenker, der gerade deshalb die
im Jetzt und Hier entstehende fragmentarische Form bevorzugt. Der aphoristische
Stil in Anknüpfung an Nietzsche ist dafür die natürliche Konsequenz. Es geht
dem Autor hier um die Wiederkehr des aristokratischen Gestus, um das Anliegen
einer über Literatur erzielten radikalen Entrückung vom Allgemeinen. Freilich,
man mag dieses Vorgehen als "Extremismus" kennzeichnen; dies kann aber
nur eine Kennzeichnung bleiben, die sich der Sphäre des eigentlichen Anliegens
des Schriftstellers entzieht, ihr nicht mehr zugehörig ist. Davila selbst löst
diese Frage im Sinne seines Ziels emotioneller Entrückung selbst im
vorliegenden Buch: "Politischer Extremismus beruht nicht auf doktrinärer
Überzeugung; er ist lediglich die verbale Formel für Gefühlshunger."
(294) Und diesen frei zu artikulieren und den potentiellen
"Extremismus", der ja nur die terminologische Flucht davor ist, sich
den eigentlichen Dingen zu stellen, in überhaupt jeder möglichen Haltung des
Menschen kenntlich zu machen, dafür bietet das Buch nun auch ein vortreffliches
Beispiel.
Die vorliegenden literarischen Stahlgewitter stellen ein beeindruckendes
Beispiel für Davilas Werk vor - gespeist von ästhetischer und ethischer
Gräuel über die moderne Gesellschaft und ihre Gemeinplätze. Verknüpft mit
einem Essay von Martin Mosebach und einem Vorwort von Franco Volpi liegt damit
ein in der Literatur- und Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts einzigartiges
Buch vor, welches in der Tat auf jeder Seite dem Leser erlaubt, sich einem
unverwechselbaren Stil zu widmen, der ihm einpaukt: "Jede Weisheit besteht
darin, Gemeinplätze aufrichtig, gelassen und tief zu überdenken." (61) Es
ist dies das zum ersten Mal in deutscher Sprache erschienene frühe Hauptwerk
Nicolas Gomez Davilas, welches 1954 in Bogota zunächst als Privatdruck in einer
Auflage von einhundert Exemplaren erschien.
So weist denn auch das Vorwort völlig richtig darauf hin, daß das in diesem
Werk geschaffene Universum sich als ein geschlossener Raum darbietet, den zu
betreten kein rationales Herangehen und keine ideologische Grundhaltung die
Voraussetzung ist, sondern die Bereitschaft, sich in es hineinzuversetzen. Und
sind wir ehrlich, so müssen wir unweigerlich zu dem Schluß kommen, daß hier
auch das terminologische Konstrukt des "Reaktionärs" bei wertfreier
Betrachtung bereits hinfällig wird, denn "Reaktionär" ist nicht
gleich "Reaktionär". Die Wahrheit eines Terminus nämlich liegt nicht
in den Dingen selbst, die er bezeichnet - hier in dem Begriff
"Reaktionär" - sondern in der dem Worte jeweils subjektiv
zugeschriebenen Bedeutung, also in dem subjektiven Urteil über das Wort, sofern
es gedacht wird. Terminologische Bedeutungen variieren je nach individueller
Wahrnehmung und zweckdienlicher Bedürfnisstruktur. Und so ist in diesem Fall
der Reaktionär nicht Rückschrittler, sondern er ist der in seinem Sinne
voranschreitende Genius, der einzig ein nicht auf Ruhm bedachter Herr über die
Dinge - seine Dinge - bleibt: "Denken, Schreiben, alles ist leichter und
einfacher, wenn wir nicht mehr glauben, wir müssten uns erhabenen
Unternehmungen widmen." (179)
Fazit
Ob nun "Extremismus" oder "Reaktionär" - gepaart mit
selbstdisziplinierter und stoischer Reife meint Davila: "Nichts in der Welt
geht uns verloren, wenn wir eine einzige Sache gründlich besitzen." (354)
Vielleicht sollte man den Gestus seiner Gedankenwelt gründlich besitzen, um so
geistig frei wie er zu werden und damit die Welt mit weniger gern gesehener
Leichtfertigkeit der kultivierten Affekte zu betrachten.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 13. Januar 2008 2008-01-13 12:13:32