David Humes (1711-1776) 1748 erschienene Schrift "An Enquiry concerning
Human Understanding" gehört zu den einflußreichsten und wichtigsten
Texten der Philosophiegeschichte, insbesondere angesichts ihrer Bedeutung für
die Philosophiegeschichte Deutschlands und ihre Erkenntnistheorie. Selbst Kant
verdankt nach eigener Aussage Hume die "Unterbrechung seines dogmatischen
Schlummers" - als wolle Kant damit andeuten, Hume sei der Anstoß zu seiner
eigenen kritischen Philosophie namentlich der "Kritik der reinen
Vernunft" gewesen. In der Tat, so kann es gesehen werden.
Steht Leibnitz für die Begriffsfolge Verstand - Vernunft - Rationalismus und
Hume für Sinn - Empirie - Empirismus, so wird für Kant später im Verstand und
im Sinn, in beiden Elementen, das Potential zur Erkenntnis liegen sehen. Kant
absolviert damit gleichsam eine transzendentale Synthesis, denn er geht unter
anderem entgegen Humes ausschließlichem Empirismus davon aus, daß apriorische
Erkenntnis, also Erkenntnis jenseits des in der Natur Erfahrbaren, möglich ist.
Er bildet eine Synthese aus Leibnitz und Hume, aus Rationalismus, in dem der
Mensch Herr der Welt ist, und aus Empirismus, für den die Natur zentral ist,
weil sie das Objekt der menschlichen Verfügungsgewalt (Francis Drake) ist und
damit keine Transzendenz mehr anerkennt. Die Sinneserfahrung allein ist im
Empirismus schon alles und das Ganze. Über die kantische Intelligibilität
siegt mit Hume die Sensualität, über die (spätere deutsche) Idealität die
Utilität, über die Universalität die Individualität, über die Ewigkeit die
Zeit, über das Ganze der Teil. Damit sind wir bei David Hume angelangt, dem
Vater des Empirismus, dem konstruktiven Anstoß Immanuel Kants, dem Vordenker
des englischen Philosophie-Begriffs. Doch langsam - eine Rückblende.
Hume behandelt in der vorliegenden Schrift Probleme der theoretischen und der
praktischen Philosophie. Zur theoretischen Philosophie werden dabei
erkenntnistheoretische Analysen gezählt, und zwar die erste Grundlegung des
Empirismus. Sie findet sich in dieser Schrift. Humes Grundaussage des Empirismus
als Erkenntnistheorie ist, "daß Ursachen und Wirkungen nicht durch die
Vernunft, sondern durch die Erfahrung zu entdecken sind." (48) Zur
praktischen Philosophie gehören die Überlegungen zur Willensfreiheit
(Freiheitsproblem), die Diskussion des physiko-theologischen Gottesbeweises
sowie die Analyse der Vertrauenswürdigkeit von Wunderberichten. Neben diesen
bedeutenden Themen der Philosophie finden sich in der "Enquiry" auch
ontologische Analysen bezüglich der Existenz der Außenwelt sowie Überlegungen
zum Theodizeeproblem, zur Anthropologie, zur Frage nach der Verantwortlichkeit
des Menschen, zur Methode in der Geschichtsschreibung und sogar zur Dichtkunst.
Hume hat Lockes Empirismus und Berkeleys Idealismus zu einem Positivismus
weitergebildet, der den Skeptizismus bildet, für den Hume bekannt werden
sollte, weil er die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis bestreitet und keine
apriorische, von Beginn an absolut gewisse Erkenntnis, anerkennt -
gewissermaßen ein vorkantischer Anti-Kant.
Hume analysiert die Erkenntnis, besonders die fundamentalen Begriffe der
Kausalität und der Substanz, und kommt zu dem Ergebnis, daß nichts als real
anzunehmen ist, was nicht auf äußere oder innere Erfahrung - auf
"Eindrücke" beider - sich gründet und daß sichere Erkenntnis nicht
weiter reicht als Erfahrung, eben nicht ins Transzendente hinein. Eindrücke
(Impressionen) und Ideen (Vorstellungen) als weitergesponnene Kopien der
ursprünglichen Eindrücke machen für Hume den Bestand des geistigen Lebens
aus. Es gibt einfache und zusammengesetzte, ursprüngliche und reflektive
Eindrücke. Aus Eindrücken stammen alle Vorstellungen und Begriffe
("ideas"), die von jenen nur durch ihre geringere Lebhaftigkeit und
Frische unterschieden sind. Die Ideen sind "faint images", Kopien der
Eindrücke. Humes Typensystem der Bewusstseinsinhalte kennt acht Arten von
Perzeptionen (Wahrnehmung), die bestimmt werden durch drei Unterscheidungen.
Hierzu ist die vortreffliche Übersichtsliste im angefügten Kommentar auf Seite
264-265 empfehlenswert: Alle Perzeptionen sind bei Hume Eindrücke (Wahrnehmung)
oder Ideen (Denken). Dazu gibt es einfache oder komplexe Perzeptionen.
Das Denken besteht in einem Verbinden und Vergleichen von Ideen, im Auffinden
der Beziehungen zweier Objekte; es ist nicht schöpferisch, nur zusammensetzend.
Sprich: Träume ich von Büchern, so tue ich dies nur deshalb, weil ich Bücher
real gesehen habe und sie dadurch Bestandteil meines Denkens wurden. Nach Hume -
so könnte man sagen - gibt es keine Vorstellung von Büchern ohne Bücher, die
schon mal materiell durch unsere Sinne - eben empirisch - wahrgenommen wurden.
Es fragt sich hier nur im Sinne einer Kritik an Hume, warum der Mensch dann
Bücher schaffen konnte, denn diese waren vorher nicht gegeben und sind dennoch
real geworden. Sie können doch nur Essenz menschlicher Ideen und apriorischer
Bewusstseinsinhalte gewesen sein, nämlich solcher Ideen, die Papiere mit
Schriftinhalt zu verbinden gedachten. Bücher sind eben das Ergebnis
apriorischer menschlicher Erwägungen. Was Hume dem entgegnet hätte, bleibt dem
Leser selbst zu ergründen überlassen. Eine apriorische Erkenntnis von
Tatsachen ist dagegen für Hume trotzdem unmöglich, alle Tatsachenerkenntnis
ist empirisch, durch Erfahrung bedingt.
Interessant sind Humes Klarstellungen wichtiger Begriffe. So in dem Kapitel
"Über Freiheit und Notwendigkeit". Dort findet sich seine Definition
von Freiheit, als Kern von Humes praktischer Philosophie. Freiheit gilt ihm als
"eine Macht zu handeln oder nicht zu handeln, je nach den Entschließungen
des Willens (determinations of the will)." (124) Wie immer bei der
Studienbibliothek des Suhrkamp-Verlages befindet sich am Ende eine
Rezeptionsgeschichte.
Speziell interessant ist die Rezeptionsgeschichte Humes in Deutschland, wo er
als rigoroser Skeptiker wahrgenommen wurde, aber sein Werk nicht als Wegweisung
aus einer Sackgasse sondern mit Kant und Hegel als Ausgangspunkt für neue Wege,
weitere Reflexionen und Syntheseabsichten begriffen wurde. Das deutsche
Ganzheitsdenken konnte sich nicht mit dem humeschen Partikularismus der Empirie
abfinden, fokussierte man doch gerade in Deutschland die geistigen Potentiale,
dazugehörig die intelligible Welt und dem entgegengesetzt die materielle Welt
lediglich als Modalität der Idealität. Hume ist hier immer Ausgangspunkt für
eigenes, gleichwohl auch komplexeres Denken. Hume wird bei Kant dezidierter
Anstoß zur großartigen "Kopernikanischen Wende" in der Philosophie:
Die Welt richtet sich im Vorgang des Erkennens nach dem Subjekt und eben nicht
nach der Natur als dem empirischen Objekt.
Das vorliegende Buch brilliert mit 270 Seiten Kommentar von Lambert Wiesing, der
eine Inhaltszusammenfassung bietet, die Entstehung des Werkes und die
Präsentation des Textes in Exzerpten absolviert. Die Entstehung des Werkes wird
rekapituliert mit dem Ergebnis, daß Humes Leistung vorrangig Produkt einer
vorhergehenden Enttäuschung, nämlich der völligen Ignoranz gegenüber seinem
Vorläuferwerk, war. Enttäuschung und Bedrängnis führen offensichtlich zu
verstärkter Leistung und Schöpferkraft - Geist und Gefühle eben zu vorrangig
mehr geistiger Leistung, jenseits einer empirischen Fixierung. Die englische
Originalübersetzung befindet sich an zentralen Stellen in Klammern, so daß der
Leser die Begriffe Humes in ihrer Originalsprache nachvollziehen kann, etwa
"geistige Tätigkeiten" (operations of the mind), "unmittelbares
Bewußtsein" (immediate perception). Dies bietet das Buch während des
gesamten Textes. Stellenkommentare zum gesamten Originaltext sind am Ende leicht
auffindbar, ebenso ein Verzeichnis zentraler Begriffe bei Hume: Außenwelt
(external universe), Einbildungskraft (imagination), Lehre von der Freiheit
(doctrine of liberty). Die vorliegende Schrift der neuen Reihe Suhrkamp
Studienbibliothek ist damit wieder einmal ideal als erste Orientierung für
Theorieeinsteiger und schafft eine fundierte geistige Grundlage, die das
Bewußtsein für philosophische Sachverhalte schärft. Wie würde Hume sagen:
"Das Bewußtsein täuscht niemals - But consciousness never deceives."
Fazit
Eine Grundlage jeglicher Auseinandersetzung mit philosophischer
Erkenntnistheorie.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 02. November 2007 2007-11-02 12:04:05