Die junge Frau, die in Taipeh auf dem Markt einkauft, sieht aus wie eine
Einheimische, doch die chinesische Sprache kommt ihr nur zögernd über die
Lippen. Als der Verkäufer Chen Ynna anspricht, zieht ihre Kindheit im Shanghai
der 30er Jahre an ihr vorbei. Ynna (Silbermädchen) war in der ehemaligen
französischen Konzession in Shanghai aufgewachsen. Im Sommer 1937 befürchtet
Vater Chen einen Angriff der japanischen Armee. Wie viele andere Familien
schickt er sein einziges Kind Ynna in ein Kinderheim nach Tsingtau. Doch auch
Tsingtau hält Herr Chen nicht für sicher genug. Ynnas Cousine Meihua studiert
in Deutschland und so reift die Idee, die 7-Jährige Ynna nach Brandenburg an
der Havel zu schicken. Sie kann dort als Pensionsgast bei Frau von Steinitz
leben, bei der schon Meihua und ihre Brüder während ihrer Ausbildung gewohnt
haben. Meihua und Ynna begeben sich per Schiff und mit der Bahn auf die lange
Reise nach Deutschland. Meihua beginnt in Berlin ihr Studium und Ynna (die nun
Ina genannt wird) ist in der fremden Umgebung allein. Für die aufgeweckte
kleine Chinesin ist das Leben in Deutschland ein Kulturschock: die Deutschen
essen und trinken völlig anders, sie öffnen ihre Bücher vorn und unter einem
Markt stellen die Menschen sich hier etwas ganz anderes vor als die Chinesen.
Flink entdeckt Ina zusammen mit der deutschen Sprache ihre neue Umgebung. Als
der erste Brief ihres Vaters in Brandenburg eintrifft, stell Ina zu ihrem
Schrecken fest, dass sie ihn nicht allein lesen kann. Sie hatte vor ihrer
Abreise in China noch nicht genug Schriftzeichen gelernt, um Chinesisch lesen zu
können. Meihua kommt nun regelmäßig zu Besuch, um Ina Chinesisch-Unterricht
zu geben. Die kleine Cousine soll ihre Muttersprache nicht vergessen. Der
beginnende Nationalsozialismus mit seinen Aufmärschen, Jugendbünden und seinem
martialischen Vokabular fordert Inas Anpassungsfähigkeit heraus. Man kann die
Gedanken förmlich in ihrem Kopf arbeiten sehen: Wenn die Juden die Feinde der
Deutschen sind und Ina gar keine Deutsche ist, dann kann der jüdische Vater
ihrer Freundin Inge doch wohl nicht Inas Feind sein? Mit dem Fortschreiten des
Zweiten Weltkriegs wird Inas Lage als Ausländerin in Deutschland zu
gefährlich; die 13-Jährige muss ihre Flucht aus Deutschland vorbereiten.
Fazit
Susanne Hornfecks Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Die Autorin
verknüpft spannend und glaubwürdig Inas Abenteuer in der Fremde und ihre
Begegnung mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Mit großem
Einfühlungsvermögen gibt Hornfeck Einblick in die Gefühle eines Kindes, das
ohne Eltern in einem vermeintlich sicheren Land mit einer ihm völlig fremden
Kultur konfrontiert wird. Die erwachsene Ina lenkt mit dem Rückblick auf ihre
Kindheitserlebnisse die Aufmerksamkeit der Leser vom persönlichen Schicksal auf
unterschiedliche Aspekte des Fremdseins und des Rassismus in der Gegenwart. Ein
Jugendbuch, das auch erwachsene Leser bewegen wird.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 16. Oktober 2007 2007-10-16 08:49:12