Auf Anregung der Mainländer-Kenner Dr. Winfried H. Müller-Seyfarth
(Herausgeber der Mainländer-Gesamtausgabe) und Dr. Thomas Regehly
(Vorstandsmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft) wurde am 28. November 2005 in
Offenbach die "Internationale Mainländer-Gesellschaft e.V."
gegründet. Kurz danach erschien der Sammelband "Was Philipp Mainländer
ausmacht". Das vorliegende Buch nun ist das Ergebnis eines
Essay-Wettbewerbs, den die Stadt Offenbach am Main durch ihr Kulturdezernat im
Sommer 2004 auslobte, um den Philosophen und Dichter Philipp Mainländer
(1841-1876) zu ehren. Es ist der Beginn einer neuerlich aufkommenden
Mainländer-Rezeption in der Philosophie.
Mainländer malte in seinem zweibändigen Hauptwerk "Die Philosophie der
Erlösung" ein radikales Untergangsszenario, das einmalig ist. "Die
Bewegung der Menschheit überhaupt ist die Bewegung aus dem Sein in das
Nichtsein" (I, 215), heißt es dort. Der Philosoph sieht "im ganzen
Weltall nur die tiefste Sehnsucht nach absoluter Vernichtung (...), Erlösung!
Erlösung! Tod unserem Leben! Und die trostreiche Antwort darauf: ihr werdet
Alle die Vernichtung finden und erlöst werden" (I, 335). Was für die
einen die furchtbringende Rückkehr des Schattens der Metaphysik ist, bedeutet
für die Mainländer-Rezipienten des vorliegenden kleinen Bandes lediglich das
Stellen von wichtigen philosophischen Fragen: An wen richtet sich Mainländers
Denken? Was bedeutet "Erlösung"? Welche Relevanz hat Mainländer für
die Gegenwart? Antworten auf diese Fragen bietet der vorliegende Essayband, der
Texte enthält, die unter dem Thema "Der Gedanke der Erlösung bei Philipp
Mainländer und seine Bedeutung für die Gegenwart" ausgearbeitet werden
sollten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Der Laudator Winfried Müller-Seyfarth hielt die Lobrede auf den Gewinner Damir
Smilijanics, dessen Text "Mainländers Anleitung zum glücklichen
Nichtsein" auch dem Sammelband den Titel gab. Er sieht die Aktualität
Mainländers darin, daß seine "Beschreibung des idealen Staates" in
"unserer Konsum- resp. Anspruchsgesellschaft", in der "alle Not
gelindert" sei, ihre "konkrete gegenwärtige Bestätigung"
erfahre. Und so werden neue Anknüpfungspunkte bei Mainländer für die
Gegenwart neu benannt: der interkulturelle Aspekt, das innerphilosophische
Problem von Einheit und Vielheit sowie das Ziel des Globalisierungsprozesses
bzw. eines Idealstaates. Das sind alles Faktoren, die Mainländer bereits in
seiner Philosophie antizipierte und klare Erklärungen dafür bot.
Beispielsweise bezüglich des heilbringenden "Idealstaates" meinte er,
daß eine Realisierung desselben bereits das schönste Leben im Idealstaat
sinnlos mache, da es geprägt von Langeweile sei und den Egoismus fördere. Dem
stimmte auch Ulrich Horstmann, Vorreiter der anthropofugalen Perspektive
Mainländers im Nachkriegsdeutschland, zu: Die Aktualität des
Erlösungsbegriffes von Mainländer mit dem Ziel des kosmischen
Annihilierungsprozesses stehe in engem Zusammenhang mit der
Massenarbeitslosigkeit, der sozialen Entsolidarisierung, der Bildung nach
Sozialstatus und der gelangweilten Unkultur der Big-Brother-Hysterie.
Wichtig ist: Der Hauptgewinner Smilijanic erkennt auch in seiner Fußnote 22
einen Bezug zum Idealisten Hegel, den man doch als rein abstrakt-spekulativen
Widerpart zu Mainländer auszumachen geneigt ist. Dennoch, die komplementäre
Korrelation der Anthropofugalität mainländerschen Denkens mit Bestandteilen
des Deutschen Idealismus muß erst noch herausgearbeitet werden, so etwa die
Triade Sein - Nichts - Werden bei Hegel ("Wissenschaft der Logik"),
welche zur Triade Übersein - Werden - Nichts bei Mainländer wird. Bei Hegel
ist das Werden die produktive Synthese aus Sein und Nichts, bei Mainländer
löst sich das Sein in Nichts auf und das weltimmanente Werden hat nur den Sinn
des Nichts.
Trotz der Gefahr redundanter Abschnitte bei allen Preisträgern, die sich nun
einmal in ihren Essays mit demselben Thema befaßten, erkennt der Leser in jedem
Beitrag eine eigene Note heraus, welche immer wieder mit Mainländer vor den
trügerischen modernen Heilsideologie warnt, deren negative Dialektik bereits
einem jeden einleuchtet: Seit einiger Zeit heißt es beispielsweise in den
Medien, wir sollten mehr Kinder gebären! Der Individualismus des Idealstaates
in der Verkleidung des Sozialstaates trägt sonst die Fratze der biologischen
Selbstvernichtung. Man mag dazu stehen wie man möchte - Mainländer hätte
diese Tendenz sogar noch für wünschenswert erachtet, denn er sieht die
Menschen durch die Lebenskette des Leidens miteinander verbunden. Fortpflanzung
ist dabei die Perpetuierung des Leidens, absolute Virginität die Vorverlegung
des erlösenden Todes. Keine Frage, auch Kritik an Mainländer mag hier
gerechtfertigt sein. Im vorliegenden Buch ist es insbesondere Daniel Nachtsheim,
der sich kritisch mit Mainländer befaßt. Er stellt zudem einen neuen Aspekt
heraus, nämlich daß Mainländer davon ausging, in der Immanenz der Welt und
ihren Eigenschaften den vorweltlichen Zustand des Überseins ablesen zu können.
Aus dem Lauf der Dinge sei abzulesen wie der Ursprung der Welt gewesen ist.
Über Mainländers Aussage "Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben
der Welt." wird hingegen in keinem Beitrag ausführlicher eingegangen. Hier
hätte man den interessanten Bezug zum nietzscheschen Diktum "Gott ist
tot!" oder zu demjenigen Leon Bloys "Gott zieht sich zurück."
herstellen können.
Die vorliegende Essayserie zumindest macht Lust auf den ersten Band der
angekündigten "Mainländer-Studien". Entsprechend ist eine weitere
Rezeption wünschenswert. Wir haben mit diesem Buch die junge Frucht einer
ersten und frisch entstandenen Mainländer-Schule vor uns.
Fazit
Ein Buch, welches die Leidenschaft junger philosophischer Denker ausdrückt und
einiges zu bieten hat.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 05. Oktober 2007 2007-10-05 09:41:14