Gabriele Krone-Schmalz hat mit ihrem neuen Werk ein sehr engagiertes und
lesenswertes Buch über Russland unter Putin vorgelegt. Wurde Putin zunächst im
Westen als neuer Präsident Russlands geschätzt, weil er Stabilität und
Berechenbarkeit in dieses Land brachte, so muss mit dem Fischer-Weltalmanach
2008 korrekterweise konstatiert werden, dass die Beziehungen Russlands mit dem
Westen seit dem Mord an Anna Politkowskaja und der Affaire Litwinenko auf einem
Tiefpunkt angelangt sind. Deutlich wurde die veränderte Wahrnehmung auf beiden
Seiten durch die Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, die
im Westen überwiegend als "Rückkehr zum Vokabular des kalten
Krieges" interpretiert wurde.
Ganz offensichtlich hat es einen Wandel an Wahrnehmungen gegenüber Russland
gegeben. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber Gorbatschow 1985 herrschte
zunächst Euphorie über Glasnost und Perestroika, die dann - schon am Ende der
Regierungszeit Gorbatschows - gegenüber einer kritischeren Sichtweise abgelöst
wurde. Dennoch protegierte der Westen Boris Jelzin, in dem er den "Garanten
der Demokratie" gesehen hatte. Dass unter Jelzin Rechtsunsicherheit und
eine skrupellose Herrschaft der Oligarchen einsetzte, wurde im Westen zwar -
insbesondere seit 1993 - zunehmend erkannt, aber häufig ein "Auge"
zugedrückt, weil der Westen Jelzin als "kleineres Übel" gegenüber
einer Rückkehr der Kommunisten sah. Putin galt als undurchsichtig, wenn auch
klug. Dass er Russland wieder stark machen und "Ordnung" schaffen
wollte, galt als sein Programm; seine Äußerung, es solle die "Diktatur
des Gesetzes" wieder hergestellt werden, hat zu unterschiedlichen
Konnotationen im Westen wie in Russland geführt. Im Westen hörten politisch
Interessierte das Wort "Diktatur" und damit die Rückkehr zur Diktatur
heraus, in Russland (hoffnungsvoll) die Geltung von Recht und Gesetzen.
Gabriele Krone-Schmalz bemüht sich, die russische Sicht der Dinge darzustellen:
"Wenn ich für jemanden Verständnis habe, dann heißt das noch lange
nicht, dass ich sein Verhalten in allen Facetten akzeptiere und für gut
befinde. Es heißt lediglich, dass ich diesen jemand respektiere, mich für
seine Probleme interessiere und nicht versuche, mich selbst zum Maßstab aller
Dinge zu machen." (S. 9). Krone-Schmalz gelingt es, Russland und die
Politik Putins, für dessen politische Handlungen sie Verständnis bekundet und
dessen persönliche und politische Integrität sie schätzt, aus einem
differenzierten Blickwinkel zu betrachten, um das heutige Russland verstehbar zu
machen. Nur so können Missverständnisse und neue Konfrontationen abgewendet
und der Aufbau neuer Stereotypen und Feindbilder abgewendet werden. Sie zeichnet
Entwicklungsprozesse - wie die Entstehung der "Bürgergesellschaft"
(einen Begriff, den sie der definierbaren "Zivilgesellschaft"
vorzieht) nach, wobei sie in Anlehnung an Michael Eggert die Funktion der
"Gesellschaftskammer", einer von Putin geschaffenen Instanz, die
zwischen Nicht-Regierungs-Organisationen, Bürgern und dem Staat vermitteln
soll, minutiös nachzeichnet. Die Reizthemen Pressefreiheit, Tschetschenien,
Wirtschafts- und Energiepolitik sowie Außenpolitik werden dargestellt, wobei
Krone-Schmalz die Motive der russischen Sicht darlegt und insbesondere dem
Westen vorwirft, sein Versprechen, die Nato nicht nach Osten zu erweitern (als
Preis für die Zustimmung Gorbatschows zur Mitgliedschaft des vereinigten
Deutschlands in der Nato) gebrochen zu haben. Putins Ängste vor einem
amerikanischen Raketenschild in Polen und Tschechien seien daher nicht
"lächerlich", wie es die amerikanische Außenministerin Rice gesagt
habe, sondern durchaus nachvollziehbar.
In allen Bereichen wird das zentrale Anliegen von Krone-Schmalz deutlich: sie
fordert differenzierte und aufrichtige Berichterstattung. Dies bedeutet für
sie, die Standpunkte des anderen möglichst neutral darzustellen und
Manipulationen, vorauseilender Gehorsam und schlampige Sprache und Recherche zu
vermeiden.
Ich habe die Motive der russischen Seite durch die fesselnde Lektüre des Buches
von Krone-Schmalz sehr viel besser verstanden als durch zahlreiche Bücher vor
ihr. Manchmal scheint sie mir die Politik Putins zu sehr zu
"verharmlosen", wenn sie etwa den Mord an Anna Politkowskaja lediglich
dem tschetschenischen Präsidenten anlastet und Putins Betroffenheitsbekundungen
in dieser Hinsicht mir nicht kritisch genug hinterfragt, während sie
andererseits Jelzin unbesehen für den Mord an der Petersburger Politikerin
Starowojtowa verantwortlich macht. Zum Verständnis - auch Putins - gehört für
mich, seine zwiespältige Reaktion auf den Tod von Politkowskaja auch korrekt
darzustellen, wenn ihre Feststellung, dass die Ermordung dieser Journalisten
Putin und der Regierung mehr geschadet habe als Politkowskajas kritische
Artikel, zutrifft. Auch Putins Motive kritischer zu hinterfragen, hätte dem
Informationswert von Krone-Schmalz Buch sicher nicht geschadet.
Insgesamt aber ein hervorragendes Buch. Unbedingt dazu lesen - um eine
Gegenmeinung zu erhalten und Einblicke in die Machtstrukturen des "Systems
Putin" zu erhalten, sollte man das eben erschienene Werk: "Das System
Putin" der Russlandexpertinnen Margareta Mommsen und Angelika Nußberger,
die Putin und seine Politik wesentlich kritischer kommentieren als
Krone-Schmalz.
Fazit
Ansonsten: ein wirklich engagiertes und lesenswertes Buch, welches den Mut hat,
"gegen den Strom" zu schwimmen und stilitisch brilliant geschrieben
und fesselnd zu lesen ist. Absolute Empfehlung!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. September 2007 2007-09-28 12:13:03