Das Buch von Johannes Heinrichs "Revolution der Demokratie" hat einen
gravierenden "Mangel": Es ist für Vielbeschäftigte und
sozialwissenschaftliche Laien zu umfangreich und komplex. Das kann die Lektüre
trotz großen Interesses müßig gestalten. Die Struktur des vorliegenden und
gekürzten Manifestes ist die gleiche wie diejenige des Hauptwerkes geblieben.
Dennoch ist es nicht bloß gekürzt, sondern neu und frisch geschrieben.
Er entwirft auf wenigen Seiten eine Weiterentwicklung von Demokratie, die
innerhalb der System-Umwelt-Beziehung sowohl zur politischen Freiheit, also auch
zur Umsetzung spezifisch kultureller deutscher Wertmaßstäbe in demokratische
Politik in der Lage ist. Die schleichende Demokratieverdrossenheit der Gegenwart
wird bei der Lektüre des Manifestes zur Demokratiebegeisterung, die nach Praxis
verlangt. Heinrichs nämlich erkennt die systembildende Kraft der
Handlungstheorie Parsons’ für die Demokratietheorie und unterscheidet zur
Vermittlung zwischen Subjekt (Bürger) und politischem System die Subsysteme 1.
Wirtschaft, 2. Politik, 3. Kultur und 4. das ethische Legitimationssystem als
Ebenen des Sozialen. Dies geschieht zum Beispiel durch die konsequente
Unterscheidung von Rechtstaatlichkeit und Gesinnung im Sinne Kants und Fichtes,
was zur Folge hat, daß politisches Denken jedweder Couleur ein Recht darauf
hat, es auf gleicher Ebene zu beurteilen - jenseits partikularer Gesinnungen.
Heinrichs fordert also schlichtweg kein missbräuchliches Halbdenken, sondern
das Vertrauen auf die Kraft des autonomen Denkens als Verdienst der klassischen
deutschen Philosophie. (13) Hier tritt die Kopplung moderner staatstheoretischer
Ansprüche mit der deutschen Staatsphilosophie zutage. Es geht ihm um die
hegelsche reflexionslogische Struktur sozialer Systeme, die sich in neuer
handlungstheoretischer Version auf:
1. wirtschaftliches Handeln (Objektwelt),
2. politisches Handeln (Macht),
3. zwischenmenschliche Beziehungen (Kommunikation) und
4. das Problem des Sinnbezugs (Legitimation)
als Handlungssysteme mit jeweils intersubjektiven Beziehungen zurückführen
läßt. Konformitätsbeflissenere "Brotgelehrte" haben diesen Aspekt
von Heinrichs’ - wenn auch aus politischem Opportunismus mit ausbleibenden
demokratietheoretischen Konsequenzen - inzwischen übernommen. So etwa Michael
Opielka in seinem Essay von 2003 "Die groben Unterschiede. Der
Wohlfahrtstaat nach Parsons und Luhmann". (in: Hellmann, Kai-Uwe/Fischer,
Karsten/Bluhm, Gerald (Hrsg.) 2003: Das System der Politik. Niklas Luhmanns
politische Theorie, Opladen)
Das Gemeinwesen bei Heinrichs’ gewinnt durch die reflexive Differenzierung
eine höhere Form der Integration und löst die Aporien, also die Zwietracht der
modernen Gesellschaft, auf: vollendeter politischer Pluralismus bei
weltanschaulicher Grundwertefundierung, autonome kulturelle Praxis in
Deutschland bei wirklich integrativer dynamischer Gruppenpolitik. Mit dieser
‚von unten’ integrierten gesellschaftlichen Gemeinschaft, die sogar der
ungehemmten Reflexion über den eigenen Staat offen steht, werden jene
skeptischen Vorbehalte gegenüber der konkurrenzdemokratischen sich immer nur
ideologisch über "links" oder "rechts" - Feinde
rechtfertigenden Parteienstaatlichkeit realpolitisch akzeptiert, die in der
traditionellen deutschen Staatsphilosophie zentral sind. Kritische Skepsis
ersetzt unproduktive Selbstgenügsamkeit.
Interessant ist, daß sich der Inhalt des kleinen vorliegenden Büchleins selbst
in einen größeren evolutionswissenschaftlichen Zusammenhang einordnet. Der
Evolutionsforscher Teilhard de Chardin (1881-1955) sprach von der
Zentrokomplexität als Bewältigung der Komplexität durch Differenzierung, also
- übertragenen Sinnes - von der Notwendigkeit auch parlamentarischer
Differenzierung zur Bewältigung politischer Ansprüche. Das erst mache ein
gesundes Ichbewußtsein, den standfesten Staatsbürger im Übergang zur
Reflexion über Staat und Mensch aus. Chardin schreibt: "Die Vereinigung
differenziert auf jedem beliebigen Gebiet, ob es sich um Zellen eines Körpers
handelt oder um Glieder einer Gesellschaft oder um Elemente einer geistigen
Synthese. In jeder organisierten Gesamtheit erlangen die Teile Vollkommenheit
und Vollendung." (Chardin, Teilhard de 1981: Der Mensch im Kosmos,
München, S. 269.) - Ein Grund mehr, dieses Büchlein als Einstieg ins Denken zu
nutzen, denn philosophisches Denken als praktisches Denken hat einen neuen
Namen: Johannes Heinrichs.
Fazit
Als Einführung in das Denken eines großen Philosophen der Gegenwart optimal
geeignet.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 23. September 2007 2007-09-23 09:54:04