Ursula und ihre Schwester Hannelore sind in den letzten Jahren des Zweiten
Weltkriegs Anfang 20 und haben durchschnittliche Bürojobs in Berlin. Beide
versuchen zwischen Hunger, Brennstoffmangel, nächtlichen Fliegerangriffen und
unruhigen Nächten im Luftschutzkeller den Anschein von Normalität aufrecht zu
erhalten. Die Erzählerin übernimmt die ängstliche, nervöse Rolle; die Person
Ursula verhält sich dagegen provozierend gleichgültig. Wer täglich den Tod
vor Augen hat, spielt irgendwann mit dem eigenen Leben und findet es belanglos,
ob das Verdunkelungsrollo sorgfältig geschlossen ist oder nicht. Obwohl Ursulas
Arbeitgeber, ein Kunsthändler, sich schon längst aus Berlin abgesetzt hat,
bemüht sie sich, den Schein einer normalen Tätigkeit zu wahren. Die
Ich-Erzählerin, deren Name im Text nicht genannt wird, vermittelt als
Schreibkraft im Auftrag einer Zeitschrift Brieffreundschaften zwischen jungen
Mädchen und Soldaten an der Front. Beide Frauen leben bis auf den Kontakt zum
gemeinsamen Freund Horst ziemlich isoliert. Ihr Hunger nach Kultur, nach einem
Ausbruch aus dem täglichen Einerlei von nationalsozialistischer Propaganda und
Denunziation bricht immer wieder durch. Der lakonische Ton des Berichts lässt
Raum für die Ängste und Empfindungen zweier junger Frauen, deren Jugend durch
Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg geprägt wurde.
Fazit
Krollpfeiffers Erinnerungen protokollieren in typischem Berliner Tonfall
alltägliche Erlebnisse in den beiden letzten Kriegsjahren. Die 1924 in Berlin
geborene Autorin verarbeitete als 20-jährige eigene Tagebuchaufzeichnungen aus
den Jahren 1943 bis 1945 zu ihrem Bericht, der 1947 zum ersten Mal erschien und
nun unbearbeitet neu aufgelegt wurde. "Wir lebten in Berlin" berührt
die Leser durch seine authentische Sprache, die Nähe zu den Ereignissen und
seine Entstehungsgeschichte.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 21. Juni 2007 2007-06-21 08:58:18