"Das Nichts ist das Elend unserer Zeit, aber keine unübersteigbare
Notwendigkeit, sondern immer für den Einzelnen mit der Lizenz des Ausstiegs
verbunden." So schreibt Gerhard Nebel (1903-1974) 1973 über den
protestantischen Mystiker Hamann, den er als geknechteten Autor deutscher
Tradition betrachtete.
Nebel gehört - trotz einer Ausgabe einiger seiner Essays im Jahre 2000
("Schmerz des Vermissens") - zu den am meisten verschollenen Autoren.
So kommt Erik Lehnert das Verdienst zu, die erste einführende Monographie über
diesen geistigen Grenzüberschreiter geschrieben zu haben.
Wie in der Perspektiven-Reihe üblich, beginnt das Buch mit einem biographischen
Abriß, der Nebel, geboren im anhaltinischen Dessau, als Sucher nach dem
Normativen, nach einer gleichsam metaphysischen Beheimatung zeigt. Durch den
Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er zunächst der SPD bei, um
später mit dem Syndikalismus Sorels zu sympathisieren, wegen sozialistischer
Agitation vom Schuldienst suspendiert zu werden und schließlich nach der
Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger eine Wende zum undogmatischen
Konservatismus zu vollziehen.
Nebel - einst vielfacher Lehrer und seit 1955 vollends schriftstellerisch tätig
- publizierte in der FAZ, Christ und Welt und in Merian. Sein Lebensthema
allerdings - so Lehnert - war die Frage nach der Vereinbarkeit des griechischen
Mythos mit dem Christentum. Zum Christentum bekannte sich Nebel in seinen
letzten Jahren enthusiastisch. In Pindar hingegen verehrte er den Sänger des
Agon, die Theologie der Athletik, den Helfer bei der heilsamen
Zivilisationsaskese im Kampf um die grassierende ontologische Armut. Man müsse
- so Nebel - philosophische Werke nacherleben, nicht nur interpretieren, um sie
verstehen zu können.
Entscheidenden Platz nimmt in der Darstellung Lehnerts das autobiographische
Buch Nebels "Unter Partisanen und Kreuzfahrern" (1950) ein, in dem
Nebel im Weltbürgerkrieg des Nihilismus verortet wird (79ff.), der sich durch
den Mangel an Wirklichkeit auszeichne und zu viel sekundäre Ersatzbefriedigung
schaffe. Für Nebel gibt es also keine Gestalt des Lebens, deren sich in seinem
Jahrhundert nicht der Nihilismus, die blinde Entartung, bemächtigt hat. So
bilanziert er 1950 im benannten autobiographischen Kriegstagebuch über die
permanente Berührung des Menschen mit dem Nichts: "Ich ehre die Idee des
ritterlichen Krieges, muß aber gerade darum ihre partisanenhafte Entartung in
aller Schärfe nachzeichnen." Später sieht er dieselbe Entartung im
Materialismus und Rationalismus. Diese beiden Ränder des aufklärerischen
Spektrums machten jede umfassende Aufklärung hinfällig. Der Fortschritt
zerstörte offenbar alles, was Nebel wichtig erschien. So verwundert es nicht,
daß er sich gerade in seinen letzten Jahren mit der vorbildhaften Aufklärung
Hamanns befaßte, die bekanntlich die Mündigkeit nicht als völlig
einzulösendes Postulat kannte, sondern die unüberwindbare Unmündigkeit vor
Gott voraussetzte.
Zwischen kantigen, transzendenzbejahenden, archaischen und
technokratieverneinenden Versatzstücken der Person Nebels gelingt es Lehnert,
ihn vom oftmals vorgebrachten Verdikt des "ekstatischen
Traditionalisten" zu befreien und ihn vielmehr in seiner eigentlichen
Potentialität zu beschreiben: Als jemanden, der den Menschen in einer
antinomischen Situation von Freiheit und Gebundenheit, zwischen Gott und Welt,
sieht. Lehnerts Verdienst ist es ohne Zweifel, diese Lebenshaltung bei Nebel
beschrieben zu haben und ihn als jemanden zu offenbaren, der gerade in Zeiten
umfassender "postmoderner" Aporien das Wesentliche verkündet, die
Wahrheit, die uns trifft. Nebel erscheint schlichtweg als "Aufhalter",
als Katechont gegen die - so Nebel in seinem Hamann-Essay - "Verjauchung
nicht nur der Elemente, sondern auch der Herzen".
Fazit
Entgegen einem leidenschaftslosen Historismus - heute in den
Geisteswissenschaften dominant - hat Nebel dem Leser einiges mitzuteilen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 19. Juni 2007 2007-06-19 09:02:28