Die Reflexions-Systemtheorie ist das erste und seiner ganzen weiteren geistigen
Entwicklung zugrundeliegende Projekt von Johannes Heinrichs. Sie ist nunmehr in
einer erweiterten Wiederauflage der erstmaligen Schrift von 1976
("Reflexion als soziales System. Zu einer Reflexions-Systemtheorie der
Gesellschaft") neu erhältlich. Wichtig ist diese Schrift besonders für
das tiefere Verständnis des bereits bei buchtips.net besprochenen
Demokratie-Buches von 2003. Sie wurde einst 1976 von der Diskurshegemonie des
Suhrkamp-Imperiums "herrschaftsfrei" ignoriert und bietet die
Vermittlung zwischen dem handlungstheoretischen Ansatz von Habermas und dem
systemtheoretischen von Luhmann in Gänze dar.
Es ist die interpersonale Reflexion, die Handlungen zu einem Handlungssystem
werden läßt und zugleich das soziale System in ein System von reflexiv
gestuften Subsystemen strukturiert. Das blieb bisher von der Fachwissenschaft
wenig berücksichtigt. Deshalb ist diese Neuausgabe mit einem Nachwort von
Franz-Theo Gottwald versehen (291ff.), welcher wesentliche Klarstellungen über
unfairen Missbrauch und Fehldeutungen von Heinrichs’ Theorie vornimmt. Das
Buch schließt mit einer umfassenden Erklärung wichtiger Fachbegriffe, die nun
- längst überfällig - den gesamten theoretischen Ansatz für den gewillten
Neueinsteiger terminologisch nachvollziehbar werden lassen.
Der Zusammenhang zwischen Sinn-Welt und Handlung war bei Luhmann von Beginn an
nicht vorhanden, geschweige denn erkenntnistheoretisch hergeleitet, was auch
für das bekannte Werk Bergers und Luckmanns von 1969 zutrifft ("Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit"). Dem ist so, obwohl dort
ansatzweise Folgendes erkannt wurde: "Und Gesellschaft wird tatsächlich
konstruiert durch Tätigkeiten, die subjektiv gemeinten Sinn zum Ausdruck
bringen." Für Heinrichs stellt dieses Defizit - so der Autor gleich in
seinem Vorwort - die Eigenschaft einer sich unaufmerksam verhaltenden
"profanen wissenschaftlichen Zunft" (7) dar, die wesentliche
praktische Konsequenzen aus ihrer Forschung nicht zu ziehen bereit sei.
Vielmehr plädiert er hingegen für eine mit umfassenden Konsequenzen bedachte
logische Mehrwertigkeit der Reflexionsstufen und den mit ihnen
korrespondierenden Sinn-Elementen (subjektives Subjekt, Objekt, objektives
Subjekt, Sinn-Medium). Was die logische und damit zugleich integrative
Mehrwertigkeit angeht, so beruft sich Heinrichs zudem seit seinem Hegel Buch von
1974 ("Die Logik der Phänomenologie des Geistes") ähnlich wie im
"Scheideweg" auf die Arbeiten des Logikers Gotthard Günther
(1900-1984). Der eingeweihte Leser hat seitdem nicht vergessen, daß es
Heinrichs bei seiner Reflexionstheorie um eine fortentwickelte Form der
mehrwertigen Dialektik im Sinne Hegels geht und daß er nicht bei einseitiger
System- oder Handlungstheorie stehen bleiben möchte. Entsprechend stellt der
Verfasser am Ende der Entfaltung seiner "Systemtheorie der
Gesellschaft" fest: "...daß es ohne Reflexion weder selbstbewußte
Subjektivität noch spezifisch menschliche Sozialität überhaupt gäbe.
Reflexion ist mehr als ein bloßer Steuerungsmechanismus." (285/286).
Es ist das Verdienst dieses immer noch und heute mehr denn je anspruchsvollen
und anregenden Buches, nicht nur Philosophie gegen den Zeitgeist betrieben,
sondern den reflexionstheoretisch gedeuteten Theorie-Praxis-Gegensatz zwischen
Hegel und Marx überwunden und die eigentliche Logik des Sozialen über die
"Reflexion" freigelegt zu haben. Das Buch wird letztendlich, wenn auch
verspätet, seinen verdienten Platz in der Literatur zur politischen und
sozialen Theorie erhalten und womöglich bei einer zukünftigen
Heinrichs-Gesamtausgabe als eines der ersten Werke des Autors zugrunde gelegt
werden müssen, von dem aus sich seine umfassende Systemtheorie in alle
politologischen, philosopischen oder ökologischen Bereiche ausweitete.
Fazit
Das Buch wird letztendlich, wenn auch verspätet, seinen verdienten Platz in der
Literatur zur politischen und sozialen Theorie erhalten, da seine fundamentalen
Einsichten unweigerlich an Bedeutung gewinnen werden.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 18. Juni 2007 2007-06-18 18:54:02