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Orhan Pamuk: Rot ist mein Name

Rot ist mein Name

von Orhan Pamuk
Verlag: Fischer Taschenbuchverlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-596-15660-3

Preis: 22,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 24. November 2024]
Im Istanbul des 16. Jahrhunderts soll für den Dogen von Venedig im Auftrag eines türkischen Padischah ein prächtig illustriertes Buch angefertigt werden, um dem Venezianer mit dieser Gabe die Macht der Osmanen zu demonstrieren. Damit jeder Buchmaler der riesigen Werkstatt mit 80 Mitarbeitern möglichst wenig über das Buch erfährt, wird der Text beim Schreiber Lokman in Auftrag gegeben, die Illustrationen auf vier Buchmaler verteilt: es sind der Vergolder Fein und drei andere mit den Künstlernamen "Schmetterling, Olive und Storch". Beaufsichtigt wird die Arbeit vom ersten Buchmaler Osman, dem offiziellen Vertreter einer streng konservativen Kunstauffassung. Das Vorhaben findet unter höchster Geheimhaltung statt, weil zum ersten Mal Menschen in der perspektivischen Darstellung der europäischen Maler portraitiert werden sollen.

Die realistische Darstellungsweise mit Perspektive und Schatten galt im Osmanischen Reich als Ketzerei. "Die Franken (damit sind die westlichen Nationen gemeint) malen das, was ihre Augen sehen und nicht, wie der Verstand den Menschen erblickt." fanden die Buchmaler. Im Osmanischen Reich malte man, so wie man glaubte, dass Allah die Welt sieht; Bilder waren bis dahin nur als Illustrationen eines Texts gedacht. Die Maltechnik wurde über Jahrhunderte hinweg vom Meister an die Schüler weitergegeben, die sie ähnlich streng einübten wie auch der Koran auswendig gelernt wurde. Ein persönlicher Stil war höchstens in kleinen Details zu erkennen.

Mitten in diesem anspruchsvollen Buchprojekt wird der Meistervergolder Fein Efendi tot in einem Brunnen gefunden. Der Tote wendet sich als erste auftretenden Person an Pamuks Leser. Erschlagen wurde Fein von einer noch unbekannten Person wegen seiner dogmatischen Haltung, mit der er glaubte, das Ansehen der Buchmalergilde zu schützen. "Seine Beine sind klüger als sein Kopf", sagt der Mörder von sich selbst. Der Buchmaler Kara, Feins Neffe, war kurz zuvor nach 12 Jahren Aufenthalt in Täbris nach Istanbul zurück gekehrt, um seinem Onkel bei dem geheimen Projekt der Buch-Illustration zu helfen. Während Kara als junger Schüler seinen Beruf beim Onkel lernte, hatte er sich unglücklich in seine Cousine Seküre verliebt. Obwohl Seküre inzwischen mit einem anderen verehiratet ist, liebt Kara sie noch immer. Als Seküres Söhne treten der kleine Orhan (Pamuk) und sein Bruder Sevket in der Geschichte auf. Die jüdische Hausiererin Ester sorgt für den Transport geheimer Briefchen zwischen Seküre und Kara. Weitere Auftritte haben das Bild eines Hundes, das eines Baumes, eine Münze (denn ohne Geld hätte das Können eines Buchmalers keinen Maßstab), der Tod, ein Tintenfässchen und die Farbe Rot. Schließlich, an achter Stelle tritt Seküre auf, die den Tod ihres Vaters verheimlichen will, bis die Ehe zu ihrem Mann annulliert ist, von dem sie seit 4 Jahren nichts mehr gehört hat.

Als ein Zusammenhang zwischen Feins Tod und der geheimen Tätigkeit der Buchmaler vermutet wird, sind Olive, Storch und Schmetterling die ersten Verdächtigen. Der Padischah lässt ihre Häuser nach der fehlenden letzen Buchseite durchsuchen. Unter dem äußeren Druck scheinen die drei überlebenden Buchmaler zum ersten Mal über ihr Kunstverständnis, ihren Stil und ihr Ansehen als Künstler nachzudenken. Kara findet schließlich den, der Fein und Seküres Vater tötete.

Pamuks Handlung spielt kurz nach der Blütezeit von Kunst und Kultur im Osmanischen Reich unter Süleyman I. dem Prächtigen. 1571 waren die Osmanen in der Seeschlacht von Lepanto von den Venezianern und den Spaniern geschlagen worden und mussten 1671 Kreta an Venedig abtreten. Ende des 16. Jahrhunderts hatten Militärausgaben und das luxuriöse Leben bei Hofe zu einer wirtschaftlichen Krise geführt, mit der der Niedergang des Reiches begann. Nach Pamuks Angaben hat es etwa 2000 Buchillustratoren gegeben, die für hochrangige Auftraggeber luxuriös ausgestattete Bücher mit Miniaturen versahen. Der Stil der Buchmalerei war stark von der chinesischen und mongolischen Kultur geprägt. Der Beruf starb irgendwann aus. Pamuk beschäftigt sich nach eigenen Angaben in seinen Büchern immer wieder mit der osmanischen Kultur, weil sie ihn vor den Stürmen westlicher Kulturen schütze und ihm helfe, mit seiner Hassliebe gegenüber der westlichen Kultur zurechtzukommen

"Rot ist mein Name" ist ein spannender, farbenprächtiger historischer Roman, indem es auch um die Aufklärung eines Mords geht. Eine wichtige Rolle spielt die dargestellte Sinnkrise eines Berufsstandes und einer ganzen Gesellschaft. Wer sich auf die historischen Hintergründe des 16. Jahrhunderts einlässt und die Geduld für eine verschlungene, märchenhafte Geschichte aus dem Jahr 1591 aufbringt, findet in Pamuks Geschichte einigen Stoff zum Nachdenken. Pamuks Stil und die üppige Schilderung der handwerklichen Details haben mir sehr gut gefallen; mancher Leser wird sie eher als ausufernd empfinden. Die Erzählung aus mehr als 12 Perspektiven wirkt anfangs abschreckend. Doch es ist möglich, den Überblick über die Beziehungen der Personen untereinander, ihre wirklichen Namen und die Suche nach dem Täter zu behalten. Der starrsinnig am Gewohnten festhaltende Fein Efendi repräsentiert die autoritären Strukturen seines Handwerks, aber auch eine Gesellschaft, die zu Kritik und Veränderung nicht fähig ist und sich stattdessen mit außenstehenden "ungläubigen" Feinden auseinandersetzt. Interessant fand ich die Schilderung der Person Seküre, ihr Verhältnis zu ihrem Vater, dem abwesenden Mann und ihren kleinen Söhnen. Seküre tritt in der Geschichte nach 5 Männern und 2 Gegenständen an 8. Stelle auf und beobachtet die Vorgänge anfangs nur aus dem Verborgenen. Pamuks historischer Stoff bietet als Frauenrollen die der Ehefrau, einer Hausiererin und einer Dienerin. Erst bei der Totenfeier für den Efendi Fein werden weitere Frauen benötigt, damit die Gäste beköstigt werden können.
Fazit
Pamuks symbolhafte, hintergründige Geschichte hat einige Längen; ihre Bilder und Symbole bieten dem geduldigen Leser vielfältige Einsichten in das schwierige Verhältnis zwischen der westlichen und der muslimischen Kultur.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 12. Juni 2007

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