In diesem nicht nur seitenstarken Roman begegnet der Leser Edward Glyver, einem
jungen Mann, der kurz vorm Austernessen noch schnell einen Menschen tötet. Sein
unschuldiges Opfer hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
Dieser Mord ist für den adligen Glyver lediglich die Generalprobe für eine
andere Tat, denn der Ich-Erzähler ist von der Idee besessen, seinen ehemaligen
Freund und jetzigen Todfeind Phoebus Daunt umzubringen. Daunt ist es, den Glyver
für den Verlust seiner großen Liebe, seiner eigentlichen Berufung und seines
Erbes verantwortlich macht.
Und Glyver verstrickt sich mehr und mehr in einem Geflecht aus
Selbstüberschätzung, Rachedurst, Gerechtigkeits- und Verfolgungswahn. Sein
grausames Schicksal, so glaubt er, spricht ihn von allem frei - selbst von einem
Mord...
Auf 750 Seiten wird das mörderische Duell der beiden jungen Männer
beschrieben: Zweier Männer, die sich in ihrer Intelligenz und Cleverness, in
ihrer Sensibilität und in ihrem Verhalten im Grunde auffallend ähneln.
Ein Roman, der mit einem Mord beginnt, macht die Genre-Einordnung leicht. Aber
"In der Mitte der Nacht" ist weit mehr als ein Kriminalroman. Er ist
von großer Subtilität - und er wird seinem Untertitel "Ein
Geständnis" gerecht, weil der Leser unweigerlich das Gefühl hat, eine
Lebensbeichte zu lesen. Dieser bewusst gesetzte literarische Trick beginnt mit
dem Vorwort des fiktiven Herausgebers, wird durch die Ich-Perspektive des
Protagonisten und durch die vielen Anmerkungen unterstützt. Im Klappentext wird
der Autor als "Spezialist für viktorianische Literatur" bezeichnet,
der Leser erfährt folglich vieles über Großbritannien in der Mitte des 19.
Jahrhunderts. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die den derzeitigen Trend zur
Viktorianischen Zeit nutzen, schafft Cox es, den Roman auch sprachlich in dieser
Zeit anzusiedeln. Bei der deutschen Ausgabe ist es Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann perfekt gelungen, diesen Sprachduktus beizubehalten.
In der "Mitte der Nacht" ist der Debütroman des englischen Lektors
Michael Cox. Vielleicht ist der Roman auch ein so finster bedrückender
Lebensbericht geworden, weil der Autor das Buch zu einer Zeit geschrieben hat,
als eine schwere Erkrankung ihm die Arbeit in seinem eigentlichen Beruf nicht
mehr erlaubte.
An manchen Stellen ist "In der Mitte der Nacht" vielleicht etwas zu
altmodisch geraten, an anderen wären Kürzungen dem Lesefluss vermutlich
dienlich gewesen. Dennoch ist es ein hochinteressantes und hoch subtiles Stück
Literatur, das zu den Highlights des Jahres 2006 gezählt werden darf.
Fazit
Jeder, der Lust auf einen Roman hat, der sich deutlich vom Mainstream abhebt,
wird bei der Lektüre mehr als zufrieden sein.
Vorgeschlagen von Heide John
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veröffentlicht am 15. Mai 2007 2007-05-15 12:06:44