Als Inspektor Chen Cao von Lei, einem wichtigen Shanghaier Zeitungsmann, in
einen feudalen Sauna-Club eingeladen wird, freut ihn das kaum. Nichts auf der
Welt ist gratis - und Gefälligkeiten verpflichten ihn Lei gegenüber zu
Gegenleistungen. Will Lei ihm etwa durch die Blume andeuten, dass auch der
pflichtbewusste Ermittler und Hobby-Poet Chen erpressbar sein könnte? In der
Provinz Fujian war kurz zuvor ein Ermittler tot aufgefunden worden, bevor er in
einem weit verzweigten Netz von Korruption ermitteln konnte, das sich bis in
höchste Kreise erstreckte. Der Hauptverdächtige Xing hatte sich in die USA
abgesetzt und dort politisches Asyl beantragt. Chen befragt in diesem
Zusammenhang die Fernsehjournalistin An, die er seit seiner Studentenzeit kennt.
Kurz danach wird auch An tot aufgefunden. Doch bevor Chen die verwickelten
Beziehungen entwirren kann, wird ihm mitgeteilt, dass er eine Delegation des
chinesischen Schriftstellerverbandes in die USA zu begleiten hätte. Chen steht
nun beruflich und persönlich an einem Wendepunkt. Haben seine Ermittlungen die
Kreise mächtiger, korrupter Funktionäre in Shanghai gestört, die ihn gern aus
dem Weg schaffen möchten? Soll er die Reise als indirekten Hinweis verstehen,
unauffällig in den USA zu ermitteln? Daran, dass er seine ehemalige große
Liebe, die Amerikanerin Catherine Rohn zufällig oder absichtlich wiedersehen
könnte, wagt er gar nicht zu denken. Qiu Xialong hat aus Chen Cao, seinem
Mitarbeiter Yu, Yus Ehefrau und dem pensionierten alten Yu ein pfiffiges
Ermittlerteam gebildet, das inoffizielle Kanäle nutzt und halblegal oft zu
überraschenden Ergebnissen kommt.
Jedes Mal, wenn Chen mit seinen Ermittlungen vor unlösbaren Problemen steht,
tauchen recht unrealistisch im letzten Moment entweder Bargeld, ein Laptop oder
jemand mit den gerade benötigten Sprachkenntnissen auf. Im chinesischen Alltag
passieren solche Wunder seltener. Das Zusammentreffen von Vertretern des alten
China, die anscheinend mitten in der Mao-Zeit stecken geblieben sind und
erwarten, dass Besuchern aus dem Reich der Mitte weltweit gehuldigt wird, mit
US-amerikanischen Ignoranten, die ebenfalls ihre Heimat für den Nabel der Welt
halten, schildert Qiu mit viel Sinn für Situationskomik.
Mit Hilfe der Figur Inspektor Chen, der vor seiner Ermittlertätigkeit Englische
Literatur studierte und nebenberuflich aus dem Englischen übersetzt,
unterstreicht Qiu die traditionelle chinesische Ansicht, ein gebildeter Mensch
sei ein Kenner der chinesischen Klassiker. Zahlreiche in die Handlung
eingeschobene Gedichte aus verschiedenen Epochen, Chens eigene Gedichte und das
zeremonielle Verschenken von Kalligraphien stellen die Geduld der Leser immer
wieder auf harte Proben. In jedem Band deutet Qiu an, dass sein Ermittler die
Sohnespflichten gegenüber seiner betagten Mutter noch nicht erfüllt hat - Chen
ist immer noch Junggeselle. Chens Verhalten gegenüber Vorgesetzten und
befragten Zeugen lehnt sich an Taktiken des Go-Spiels an, an Regeln der
Kriegsführung des Sun Tsu oder auch an das Angreifen und Zurückweichen in den
asiatischen Kampfkünsten. In keinem Chen-Krimi fehlen Einkaufen, Kochen und
Essen. Zeugenbefragungen, Treffen mit Yu und seinem Familienclan wären ohne
kulinarische Fachsimpeleien undenkbar.
Fazit
Qius Krimis sind durch seine detailreichen Schilderungen des chinesischen
Alltagslebens geprägt. Der vierte Roman um den literarisch versierten Ermittler
Chen ist wieder eine kluge Verknüpfung aktueller Ereignisse mit klassischen
Motiven der chinesischen Kultur. Durch Chens Reise in die USA kommt der
Schauplatz Shanghai in diesem Band etwas zu kurz. Hoffentlich kehrt Inspektor
Chen brav nach China an seinen Arbeitsplatz zurück, damit bald über weitere
Ermittlungen zu lesen sein wird.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 17. April 2007 2007-04-17 14:15:13