Besprechung des Buches "Handbuch zur deutschen Außenpolitik / Siegmar
Schmidt; Gunther Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.).
Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann und Reinhard Wolf haben aus meiner Sicht
"das" deutsche Standardwerk zur deutschen Außenpolitik seit der
Wiedervereinigung 1990 vorgelegt. Es wird aus meiner Sicht auf Jahre hinaus das
wichtigste Fach- und Standardwerk zur deutschen Außenpolitik bleiben. Neben
Hellmanns stärker theoriebezogenen Einführungslehrbuch zur deutschen
Außenpolitik von 2006 sowie dem ebenfalls als Einführung gedachten
Grundlagenwerkes von Wilfried von Bredow aus dem gleichen Jahr ist es auch die
neueste Publikation zu dem Thema. In einigen Beiträgen sowie in der Einleitung
wird auch auf die Außenpolitik der großen Koalition unter Angela Merkel (CDU)
eingegangen. Inwiefern die Politik des wiedervereinigten Deutschlands seit 1990
mit der Politik der alten Bundesrepublik Deutschland (vor 1990) zu vergleichen
ist, inwieweit also Elemente von Kontinuität oder Wandel vorherrschen, wird in
dem Einleitungsbeitrag - wie in den nachfolgenden Einzelbeiträgen der Autoren
ebenso untersucht. Fazit der Herausgeber: die deutsche Außenpolitik habe sich
gegenüber der der alten Bundesrepublik Deutschland gewandelt: sie strebe
vermehrt nach Einfluss, wie ihr Streben nach einem ständigen Sitz im
UN-Sicherheitsrat beweise und das Prinzip des Multilateralismus, also die
Tendenz, mit den anderen Mächten und nicht gegen diese unilateral zu agieren,
werde - zwar schleichend, jedoch zunehmend neu ausgerichtet, da der Begriff
zunehmend instrumentell verstanden werde: "Gewiss:
"Revisionismus" à la Schröder war ungleich sanfter als die
revisionistische Machtpolitik der untergegangenen Reiche und der Weimarer
Republik. Bei aller "Selbstbewusstseins"-Rhetorik blieb die derart
"normalisierte" neue deutsche Außenpolitik für die Nachbarn und
Partner Deutschlands trotz mancher Eigenmächtigkeiten (Irak, Stabilitäts- und
Wachstumspakt) alles in allem erträglich...Aber aus theoretischer Perspektive
wurde dieser außenpolitische Wandel im Sinne einer Hinwendung zu einer stärker
eigenständigen und machtorientierten Politik nicht selten als unter den neuen
Rahmenbedingungen unausweichlich begriffen...In dem Maße, in dem Deutschland
verstärkt an informellen internationalen Koordinierungsmechanismen beteiligt
wurde, schwand sein Interesse an langwierigen, eher formell
institutionalisierten Verfahren im großen Kreis...Prestigeorientierte
Statuspolitik und instrumenteller Multilateralismus in der
Schröder/Fischer-Ära summieren sich sicherlich nicht zu einer Wiedererstehung
eines deutschen "Machtstaates"....Unabhängig davon, wie diese neueren
Tendenzen im einzelnen beschrieben und bewertet werden, herrscht mittlerweile
jedenfalls Konsens, dass sich die gegenwärtige deutsche Außenpolitik im
Vergleich zur alten westdeutschen Bundesrepublik in beachtlichem Maße
verändert hat." (S. 37). [Diese Feststellung stimmt m.E. nur bedingt;
differenzierter und m. E zutreffender hat es der Politikwissenschaftler Thomas
Risse konstatiert, der in einer auch in dem Handbuch zitierten Analyse aus dem
Jahre 2004 in der Zeitschrift: "Aus Politik und Zeitgeschichte"
feststellte es habe bei der Mittelwahl zum Teil beträchtliche Veränderungen
der deutschen Außenpolitik gegeben, z.B. durch die zunehmenden
Auslandseinsätze der Bundeswehr), allerdings herrsche bei den außenpolitischen
Zielen Kontinuität.]
Im Gegensatz zu der eben skizzierten Außenpolitik der Regierung
Schröder/Fischer wird die Außenpolitik der seit 2005 amtierenden großen
Koalition unter Angela Merkel folgendermaßen charakterisiert: "Der Stil
der neuen Regierung ist...unstrittig sachlicher, zurückhaltender und
tendenziell stärker auf Ausgleich und Kooperation bemüht, ohne allerdings
Interessengegensätze zu verleugnen. Zweitens scheint die Außenpolitik der
Großen Koalition weniger einseitig auf einige wenige Partner (Frankreich,
Russland) fixiert, sondern bemüht zu sein, eine vermittelnde Rolle und, damit
zusammenhängend, eine Verbesserung der Beziehungen zu den kleineren
EU-Partnerstaaten und den USA zu erreichen Die Europäische Union und das
transatlantische Verhältnis gelten wieder als die beiden wichtigsten
Bezugsrahmen deutscher Außenpolitik, die zwar in einem Spannungsverhältnis
zueinander stehen, deren Vermittlung allerdings zu den wichtigsten Aufgaben
deutscher Außenpolitik gerechnet wird." (ebd., S. 39). Die - spannende -
Frage, ob die Außenpolitik der Regierung Merkel/Steinmeier, der im Jahre 2006
als neuer Außenminister diese Politik mit der Metapher: "selbstbewusste
Bescheidenheit" in bewusstem Kontrast zur Politik der Vorgängerregierung
formuliert hat, eine "Rückkehr" zum alten bundesrepublikanischen
"Integrationskurs" darstellt oder ob sich Tendenzen einer
schleichenden "Ent-Europäisierung" durchsetzten, sei zum jetzigen
Zeitpunkt (die Bewertung der Außenpolitik der großen Koalition datiert vom
Stand April 2006) noch ungewiss.
Soweit die Grundaussagen des Handbuches zur "neuen deutschen
Außenpolitik" seit 1990. Das Ziel des Handbuches, einen "umfassenden
und fundierten Überblick über die Außenpolitik Deutschlands zu geben"
ist unzweifelhaft erfüllt. Neben der Einleitung werden Konzepte und
Rahmenbedingungen der deutschen Außenpolitik dargelegt, bevor ein weiteres
Kapitel Institutionen und innerstaatliche Akteure untersucht. Staaten und
Regionen werden im umfangreichen Kapitel 5, Politikfelder (etwa die
Sicherheitspolitik oder die Entwicklungspolitik) in Kapitel 6 untersucht. Dirk
Peters untersucht schließlich Ansätze und Methoden der Außenpolitikanalyse,
bevor in einem Anhang ein - sehr sorgfältig editiertes -
Gesamtliteraturverzeichnis, eine Chronologie der deutschen Außenpolitik seit
1989, eine kommentierte (einführende) Linkliste zur deutschen Außenpolitik
sowie ein Verzeichnis politikwissenschaftlicher Nachschlagewerke erfolgt.
Insgesamt eine immense Forschungsleistung, die seinesgleichen sucht. Wer über
die deutsche Außenpolitik umfassend informiert sein möchte, sollte zu diesem
Buch greifen. Etwas schade finde ich, dass ein Kapitel über Großtheorien, also
z. B. Realismus, Neo-Realismus, Liberalismus, Konstruktivismus, leider fehlt.
Dabei hatte Dirk Peters diese Theorien sehr lesenswert in seinem Beitrag:
"The debate about a new German foreign policy after unification" in
dem Sammelband: "German foreign policy since unification (hrsg. von Volker
Rittberger) kurz und überblicksartig dargestellt. Es sollte nicht schwer sein,
eine überblicksartige Darstellung dieser Theorien in einer Neuauflage unter dem
Kapitel "Konzepte" zu berücksichtigen. Die Begründung für das
Fehlen der Beschreibung dieser Theorien - Zielgruppe des Handbuches sind ja auch
Laien - überzeugt mich leider nicht.
Überhaupt stellt sich für mich ein Problem: das Handbuch ist von seinem
Informationsgehalt her sehr gut. Aber die Behauptung, es richte sich an einen
"breiten Leserkreis" scheint mir zu weit hergeholt. Dafür gibt es zu
viele unerklärte Fremdwörter ( so werden etwa die Begriffe
"systemisch" und "subsystemisch" eingeführt, jedoch nicht
sauber definiert) und es wird für den interessierten Laien einfach zu viel
vorausgesetzt (etwa die Kenntnis der oben erwähnten Großtheorien).
Schade finde ich auch, dass nicht immer sachlich und ausgewogen argumentiert
wird. Die Behauptung etwa, Annahmen der sogenannten neo-realistischen Schule
(die verstärkt auf Staaten und Staatengruppen und deren Interessen als
Triebfedern in der Internationalen Politik abhebt) hätten sich "nur in
geringem Ausmaß bestätigt" (S. 43) wird - naturgemäß - von den
Vertretern dieser Theorie - etwa Werner Link, der selber mit einem Beitrag in
diesem Sammelband vertreten ist - nicht geteilt (vgl. etwa seinen Beitrag in der
außenpolitischen Debatte in der Zeitschrift "Welttrends", auf die die
Herausgeber sich mehrfach beziehen). Es wäre für eine Neuauflage
wünschenswert, die andere Sicht dieser Wissenschaftler zumindest darzustellen,
diese Wissenschaftler mit einer alternativen Sicht der Dinge zu Wort kommen zu
lassen oder eine solche Behauptung zumindest sauber zu begründen, denn ein
Handbuch sollte sich stark - und in diesem Fall stärker - um Objektivität bei
der Darstellung und Bewertung der unterschiedlichen wissenschaftlichen
Positionen bemühen.
Ansonsten haben mir vor allem die Länderanalysen, insbesondere die von Russland
und den USA (wo von Stephen F. Szabo zutreffend ein Einflussverlust der
sogenannten "Neokonservativen" gegenüber Nationalisten und Realisten
seit 2005 diagnostiziert wird (S. 363), sehr gut gefallen.
Fazit
Insgesamt bleibt für mich daher festzustellen: ein erstklassiges, sehr
sorgfältig gemachtes Buch, welches in Zukunft "das" Standardwerk für
die deutsche Außenpolitik sein wird.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 27. März 2007 2007-03-27 19:49:18