Die 13-jähirge Ji-Li Jiang aus Shanghai möchte sich als Tänzerin bei der
chinesischen Volksarmee bewerben. Ihr Vater redet ihr diese Idee jedoch aus,
weil er sicher ist, dass die Jiangs den "falschen Klassenhintergrund"
haben und seine Tochter nicht in die Volksarmee aufgenommen werden wird. Ji-Li
wächst in der Zeit von Maos Kulturrevolution auf. Da ihr verstorbener
Großvater Großgrundbesitzer gewesen sein soll, haben Ji-Li und ihre Familie
mit wachsenden Problemen zu kämpfen. Die revolutionäre Bewegung benutzt
Schlagworte wie "Ausbeuter" und "Großgrundbesitzer", kann
jedoch nicht begründen, wie das Land ohne diese Klassenfeinde funktionieren
soll. Ji-Li versteht nicht, warum die Jiangs kein Hausmädchen mehr haben
dürfen: Song Po-Po, die Ji-Li und ihre Geschwister stets liebevoll versorgte,
verliert ihre Stelle und ihr Einkommen, damit sie in Zukunft nicht mehr
ausgebeutet werden wird. Die Roten Garden zerstören im Namen der Revolution
alles Alte, sie foltern, morden, vernichten Erinnerungsstücke und versetzen
ganz China in Angst und Schrecken. Vater Jiang ist überzeugt davon, dass
zumindest seine Kinder unschuldig sind und versucht, Ji-Li ihre Ängste zu
nehmen. Doch nachdem er denunziert und verhaftet wird, ist die Familie auf sich
allein gestellt. Ji-Lis Generation wird zu "umerziehbaren Kindern"
erklärt, die zur Landarbeit geschickt werden, um sich dort ein neues
politisches Bewusstsein zu erarbeiten.
Das Mädchen mit dem roten Halstuch ist die Autorin selbst gewesen. Sie lebt
seit ihrem 30. Lebensjahr in den USA und ist dort nicht richtig heimisch
geworden. Mit ihrem Buch will sie zur Verständigung zwischen den Völkern
beitragen. Ob dafür ein Jugendroman über die Mao-Zeit geeignet ist, bleibt
fraglich. Die Autorin beschreibt aus der Perspektive Ji-Lis überzeugend, wie
ein totalitäres System ein Land buchstäblich in Schutt und Asche legen kann,
wie durch Denunziation und Einschüchterung Ehepartner, Eltern und Kinder
einander entfremdet werden. Das umfangreiche Glossar erklärt die Fachausdrücke
dieser Epoche der chinesischen Geschichte. Wie hart Autorin und Übersetzerin
mit dem komplizierten Stoff zu kämpfen haben, zeigt sich in einigen
sprachlichen Mängeln: Die Ausdrücke Wandzeitung und Nachbarschafts-Komitee,
die erwachsene deutsche Leser kennen, sind im Buch durch neue Begriffe ersetzt,
die nicht zur Klärung beitragen. Dass Ji-Li beim Ernteeinsatz in Süd-China
Reis erntet und Korn drischt, kann so nicht stimmen.
Fazit
"Das Mädchen mit dem roten Tuch" ist sprachlich und thematisch als
Jugendbuch angelegt. Es wird jedoch nur schwer junge deutsche Leser finden.
Deutsche Schüler sind an China interessiert; denn sie erleben in ihrer Umgebung
deutsch-chinesische Ehen, Eltern, die in China berufstätig sind und
Geschwister, die ein Auslands-Semester in China absolvieren. Doch genau deshalb
interessieren sich sogar in Deutschland lebende Kinder chinesischer Eltern eher
für das moderne China und weniger für chinesische Geschichte.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 09. Februar 2007 2007-02-09 16:46:00