Die Chinesin Song Sanya - ihr Vorname Sanya bedeute "drei Vorzüge"-
hat sich während ihres Studiums in Deutschland in einen Kommilitonen verliebt
und schlägt sich seitdem als Dolmetscherin für Geschäftsleute und
Reiseleiterin chinesischer Besuchergruppen durch. Aus der chinesischen Stadt
Ningbo trifft unter Leitung des greisen Kommandanten und Vizebürgermeister Wang
Jian eine Delegation ein, die sich offiziell für Stadtplanung interessiert.
Schlitzohrig, autoritär und trinkfest erwartet Jian, dass im Kapitalismus
alles flexibel ist und ihm jeder Sonderwunsch erfüllt wird. Seine Gruppe plant
eine Europatour im Stil "Ten European Citys in Seven Days". Die
Besucher wollen zehn europäische Großstädte besuchen, maximalen Profit aus
Geschäftsverhandlungen herausschlagen, essen, einkaufen, aber bitte nicht
stundenlang auf europäischen Autobahnen unterwegs sein. Dass diese leicht
utopischen Vorstellungen verwirklicht werden, dafür ist Song Sanya ihrem Chef
persönlich verantwortlich. In der Person Sanya stellt die Autorin den
ost-westlichen Zusammenprall der Kulturen pointiert und an der Grenze zur Satire
dar. Sanya kennt die zwanghaft ordentlichen und vertragstreuen Deutschen aus
eigener Erfahrung nur zu gut, versteht aber auch die anarchische
Verhandlungsführung ihrer chinesischen Landsleute. Sanya ist in einer
verzwickten Situation: sie ist auf ihr Reiseleiter-Einkommen angewiesen und kann
sich keine unzufriedenen Kunden leisten. Die recht unverschämten Forderungen
der Reisegruppe und die nüchtern-betriebswirtschaftlichen Grundsätze ihres
Chef scheinen unvereinbar. Chinesische guanxi (Beziehungen) wollen sorgfältig
gepflegt sein; denn wer weiß, welch lukratives Geschäft sich für Sanya aus
dem Kontakt zu Jian entwickeln könnte. Die chinesische Wirtschaft boomt, die
Einrichtungswelle rollt und Badezimmer-Installationen Made in Germany sind in
China begehrt. Zwischen Rom, Venedig, Berlin und Amsterdam stellen die Reisenden
aus Ningbo Sanyas Fürsorglichkeit und Organisationstalent auf eine harte
Probe.
Fazit
Luo Lingyuan beschreibt mit soliden Insider-Kenntnissen das Biotop
deutsch-chinesischer Geschäftsbeziehungen. Kommandant Wang Jian verkörpert
dabei den dinosaurierhaften Typ Politkader alter Zeiten. Sanya und einige
jüngere Mitglieder der Reisegruppe repräsentieren unternehmungslustige
chinesische Touristen der Gegenwart. Für einen Unterhaltungsroman vermittelt
Luos Buch schon beinahe zu viele interkulturelle Einsichten. Der Roman bietet
eine Fundgrube an Anekdoten für Ausbilder, die Mitarbeitern in Hotelgewerbe
oder Einzelhandel das nötige Fingerspitzengefühl für den Umgang mit
chinesischen Kunden vermitteln wollen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 03. Februar 2007 2007-02-03 15:25:59